11.05.2012
Ein Film der Andeutungen

Dein Weg


Dein Weg Regisseur Emilio Estevez, Mitdarsteller und Sohn des Hauptcharakters gespielt von Martin Sheen, scheint sich für diesen Film etwas zu viel vorgenommen zu haben: die (geheime) Wirkung des "Camino de Santiago", des Jakobswegs, anhand von vier Pilgern, die sich lose und später enger zusammenfinden, den Camino selbst, mit der wildromantisch-beeindruckenden Idylle spanischer Landschaften, eine verkorkste Vater-Sohn-Beziehung, die nach Heilung sucht, die Selbstfindung des – angeblich seelenlosen – Vaters, und letztendlich den Tod, Verlustbewältigung und Trauer. Von all diesen angestrebten Zielen bleibt letztendlich nur eines erreicht: die Schönheit des Camino. Alles andere verliert sich in nicht zu Ende geführten Anspielungen.

Vorneweg gesagt: obwohl es um den seit über einem Jahrtausend begangenen Pilgerweg geht, speziell um den knapp 800 km langen "Camino Frances", erfährt man in diesem Film so gut wie nichts von tieferen psychologischen Erfahrungen, und umso weniger von spirituellen oder religiösen. Schmerzende Füße, Wadenkrämpfe oder Muskelzerrungen sind ebenso wenig ein Thema wie Müdigkeit und Kampf gegen Erschöpfung. Wer das erwartet, wird enttäuscht.

Tom Avery (Martin Sheen) ist ein verwitweter Augenarzt mit vollem Terminplan. Er verurteilt die Entscheidung seines Sohnes Daniel (Emilio Estevez), eine Doktorarbeit abzubrechen, um die Welt zu entdecken. Als ihm Daniels Tod am Telefon mitgeteilt wird, geht nur die Musik des Films auf eine emotionale Trauerreise – eine gut eingesetzte melancholische Akustik-Gitarrenmusik. Der Vater trauert wenig. Selbst als er sich entscheidet, mit der Asche seines Sohnes den von ihm begonnenen Jakobsweg selber anzutreten, selbst als er immer wieder kurze Visionen vom verstorbenen Kind hat, holt ihn der Schmerz nicht ein. Die Abwesenheit einer tieferen Betroffenheit des Vaters bis hin zum Ende des Films könnte den Zuschauer etwas verwundern.

Dein Weg: Filmplakat Dennoch wird Tom während der Begegnungen mit drei anderen Pilgern – liebenswert oder skurril auf ihre eigene Art – zu einer Vaterfigur. Denn die drei, alle ungefähr im Alter seines Sohnes, suchen nach Antworten und Orientierung, die Tom sogar – andeutungsweise – zu geben vermag. Dazu muss er aus seiner Seelenstarre und Scheuklappenexistenz erstmal aufwachen, wozu er aufgrund der schier nicht abzuschüttelnden Präsenz der anderen fast gezwungen ist. Neben der völlig überflüssigen Figur der Sarah, einer verbitterten schimpfenden Raucherin, die auch durch eine pathetische Szene beim Steinhaufen am "Cruz de Ferro" keine Tiefe gewinnt, glänzt die Nebenfigur des Joost, des dicklichen Genießers aus Holland, für den "Güte ein Instinkt" ist. Er ist der Einzige der Vierergruppe, der religiöse Bescheidenheit annimmt und sich am Ende kniend der Jakobs-Statue nähert. Den selbstverliebten irischen Schriftsteller Jake holt am Ende die Wahrheit ein, als seine Seele in der Basilika für einen kurzen Moment offen liegt. Es macht Spaß, dem Entstehen der Freundschaft zwischen den Vieren entlang des Weges und entlang des Films zuzusehen.

Was der Film an Außerordentlichem leistet sind sehr gute Dialoge, gekonnte Szenen der Komik, herzerwärmende kurze Begegnungen – wie etwa mit dem kippatragenden krebskranken Pater, der Tom einen Rosenkranz schenkt. Und es ist die ergreifend idyllisch-pastorale Schönheit der Natur, die zum Träumen verführt und Lust aufs Wandern macht. Somit kann man sagen, dass „der Weg“ tatsächlich die Hauptrolle im Film spielt. Hervorragend gelungen sind auch die ehrfurchtgebietenden Aufnahmen in der Basilika Santiago de Compostela mit dem überdimensionalen durch die Kirche schwenkenden Weihrauchkessel. Die Musik vermag es gut, zusammen mit den Bildern stellvertretend Emotionen hervorzurufen – denn dem Drehbuch gelingt es nicht, in eine tiefere Bedeutungs- oder Gefühlsebene zu finden. So bleibt viel in der Andeutung stecken, vielleicht aus Furcht, zu spirituell zu wirken. Dennoch ist es schön, dass jemand endlich einen Film über den "Camino" gedreht hat!  

Hilde Ottschofski / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Neue Visionen

 
Filmdaten 
 
Dein Weg (The Way (2010)) 
 
USA / Spanien 2010
Regie: Emilio Estevez;
Darsteller: Emilio Estevez (Daniel), Martin Sheen (Tom), Deborah Kara Unger (Sarah), Yorick van Wageningen (Joost), James Nesbitt (Jack), Tchéky Karyo (Captain Henri), Spencer Garrett (Phil), Matt Clark (Padre Frank), Ángela Molina (Angélica) u.a.;
Drehbuch: Emilio Estevez nach dem Buch von Jack Hitt; Produktion: David Alexanian, Emilio Estevez, Julio Fernández; Kamera: Juan Miguel Azpiroz; Musik: Tyler Bates; Schnitt: Raúl Dávalos;

Länge: (Laufzeit 24fps, d.h. im Kino:) 120:07 Minuten, (Laufzeit 25fps, d.h. im Fernsehen:) 115,54 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung; ein Film im Verleih von Koch Media (im Vertrieb von Neue Visionen); deutscher Kinostart: 21. Juni 2012



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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