26.01.2001

Apokalyptische Parabel mit elegischen Bildern

Dead Man

"It is preferable not to travel with a dead man" heißt es im Vorspann des Films - aber es besteht dennoch kein Grund, den vom Tode gezeichneten William Blake auf seiner mystischen Reise in die Unsterblichkeit nicht zu begleiten. Eine apokalyptische Parabel, die mit elegischen Bildern und einer bemerkenswerten Filmmusik von Neil Young eine dicht-düstere Atmosphäre schafft.

"Wo haben Sie bloß diesen verdammten Affenanzug her? Cleveland!?" Das hatte sich William Blake (Johnny Depp) ganz anders vorgestellt. Doch die ihm schriftlich zugesagte Stellung als Buchhalter in den Dickinson-Metallwerken, wegen der er die lange, sein gesamtes Geld verschlingende Zugfahrt von Cleveland bis in das am Ende der Bahnlinie gelegene Machine im äußersten westlichen Winkel Arizonas auf sich genommen hat, ist seit zwei Monaten vergeben. Und Dickinson (Robert Mitchum), dessen Büro er gegen den guten Rat des Sekretärs betreten hat, unterbindet weiterführende Gespräche mit vorgehaltener Schrotflinte. Mehr Erfolg hat er dafür bei der ehemaligen Prostituierten Thel (Mili Avital), nur leider entpuppt sich deren eifersüchtiger Ex-Geliebter, den Blake in Notwehr erschießen muss, als Sohn jenes eben nicht sehr umgänglichen Dickinson. Dieser setzt ein beträchtliches Kopfgeld auf den während des Duells schwerverletzten Buchhalter aus und engagiert drei psychopatische Killer (u.a. Lance Henrikson), die sich an seine Fersen heften. Im Laufe seiner Flucht gerät er immer mehr in den Ruf einer unbesiegbaren Legende, nicht zuletzt mit Hilfe des Indianers Nobody (Gary Farmer), der ihn mit dem gleichnamigen Dichter William Blake verwechselt und es sich zur Aufgabe gemacht hat den "Dead Man" in das Reich der Geister zurückzubringen.

In durchkomponierten, kraftvollen Schwarz-Weiß-Bildern erzählt Jarmusch eine Ballade, die stilistisch und dramaturgisch zwischen Western und Road-Movie schwankt, aber auch deutliche Reminiszenzen an die Anfangsjahre des Kinos aufweist. Doch trotz der verschiedenen Elemente vermittelt der Film einen homogenen Eindruck, auch weil das Erzähltempo, die Kameraführung, die Schnitte stets im gleichbleibenden, ruhigen Takt verlaufen. Er lässt dem Zuschauer Zeit, sich auf die eigenwillige Ästhetik der Bilder einzulassen. Unterstützt wird dies durch die außergewöhnliche Musik von Neil Young, die einen der tragenden Grundpfeiler für die schwermütige, melancholische Stimmung des Films bildet. Bedrohlich grollend albtraumwandelt Young auf den Seiten seiner Gitarre, das Rattern des Zuges, das Taumeln des Helden imitierend, immer auf der Suche nach einem die Spannung lösenden Grundton, der jedoch nie gefunden wird.

Die Zug-Sequenz zu Beginn des Films zählt dann auch zu seinem atmosphärisch stärksten Moment, dessen Intensität im weiteren Verlauf nicht mehr erreicht werden kann. Nie ist der Beobachter der Unsicherheit des Buchhalters näher als in diesen Szenen, in denen er wie dieser beim ersten Wort, das die lastende, nur durch monotone Geräusche gemilderte Stille durchbricht, aufschreckt. Die Zugfahrt führt von Ost nach West - von der vermeintlichen Zivilisation in die Wildnis. Bilder der Zerstörung - brennende Planwagen, sinnlos hingeschlachtete Büffel - ziehen an den Abteilfenstern vorbei, um in Machine, der äußersten Grenze der von Weißen geschaffenen Welt, eine erste Klimax zu erreichen. Dem Betrachter bietet sich eine dreckige, verrohte Stadt, in der der Tod allgegenwärtig scheint. Blake, der die Stadt in Richtung West-Küste verlässt, entfernt sich im gleichen Maße von Gesetzen, Regeln und Konventionen der ihm fremdgewordenen Gesellschaft. Auch die Menschen, denen er auf seiner Reise begegnet, wirken, je weiter er sich fortbewegt, immer skurriler und wirklichkeitsferner. Als Inaugurations-Ritus in seine Welt gestattet ihm Nobody schließlich den Zugang zu indianischen, bewusstseinserweiternden Drogen. Blake gerät auf eine andere Stufe des Selbst, die ihm ein verzerrtes Bild der Natur vorgaukelt und ihn im höchsten Grade entmenschlicht.

Johnny Depp ist die Idealbesetzung für William Blake. Glaubwürdig verkörpert er sowohl den naiv-täppischen Buchhalter, als auch den pervertierten Killer wider Willen. Immer stechender, kälter werden seine Augen im Verlauf des Films, fahler und hagerer sein von dunklen, langen Haaren eingerahmtes Gesicht. Gegen diese Präsenz, betont durch eine Vielzahl von Großaufnahmen, haben es die anderen Schauspieler schwer, obgleich sowohl Michael Wincott, als auch Lance Henrikson, Blakes Gegenspieler Cole Wilson, durchaus überzeugen. Und selbstverständlich gehört der Cameo-Auftritt des großen Robert Mitchum in seiner letzten Rolle (gestorben am 01.07.1997) für den Filmfan zu den bewegenden Augenblicken. Bei Iggy Pop hingegen scheiden sich die Geschmäcker: Wer seine Vorliebe für das Schräge teilt, wird an seiner Rolle des tuntigen Trappers Gefallen finden.

"Der, der viel redet und nichts sagt", lautet der indianische Name Nobodys. Leider trifft dies auch für Dead Man zu, denn während Bild und Musik sich harmonisch ergänzen, passen die zum Teil oberflächlichen Dialoge - kein Synchronisationsfehler! - nicht zur Grundstimmung des Films. Zusammen mit den unnötigen Slapstick-Einlagen und der übertriebenen Brutalität stören sie den sonst so perfekten, stimmigen und ungewöhnlichen Western.  

Stefan Strucken / Wertung: * * * * (4 von 5)



Filmdaten

Dead Man
(Dead Man)

USA / Deutschland 1995
Regie & Drehbuch: Jim Jarmusch; Kamera: Robby Müller; Schnitt: Jay Rabinowitz; Musik: Neil Young (WEA Records 09.02.1996); Produzentin: Demetra J. Macbride;
Darsteller: Johnny Depp (William Blake), Robert Mitchum (Mr. Dickinson), Gary Farmer (Nobody), Lance Henriksen (Cole Wilson), Iggy Pop (Salvatore "Sally" Jenko), John Hurt (John Scholfield), Michael Wincott (Conway Twill), Eugene Byrd (Johnny "The Kid" Pickett), Gabriel Byrne (Charlie Dickinson), Mili Avital (Thel Russell), Alfred Molina (Handelsposten) u. a.

Länge: 121 Minuten, s/w, FSK: ab 16 Jahren; ein Film im Verleih von Arthaus; deutscher Kinostart: 04.01.1996.

Auszeichnungen:
Felix 1996 (als bester nichteuropäischer Film).



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