Aktueller hätte Sean Penns Neuverfilmung von Friedrich Dürrenmatts
Roman "Das Versprechen" nicht sein können: In der Zeit,
in der der amerikanische Spielfilm Wettbewerbsbeitrag bei den Filmfestspielen
in Cannes 2001 war, begann eine Kindermordserie Deutschland in Atem
zu halten. Zum deutschen Kinostart des Films im Oktober 2001 bewegt
die USA der Terroranschlag auf World Trade Center und Pentagon - der
Ruf der Amerikaner nach Bestrafung der Täter ist verständlicherweise
zu hören, sich steigernd in Begriffe wie Rache bis hin zur kompromisslosen
Vergeltung. Beide Hauptnachrichten-Meldungen des Jahres 2001 finden
sich, reiner, aber Grauen erweckender Zufall, in "Das Versprechen"
wieder: Der gerade pensionierte Kriminale Jerry Black (Jack Nicholson)
ahnt, dass der wahre Mörder eines achtjährigen Mädchens
noch frei ist und wieder töten könnte. Blacks Suche nach
dem Täter und sein sogar aufs Kreuz vereidigter Wunsch nach dessen
Bestrafung steigert sich schleichend, aber unaufhaltsam in Besessenheit.
1958 schrieb der Schweizer Dichter Friedrich Dürrenmatt, durch
Dramen wie "Der Besuch der alten Dame" und "Die Physiker"
weltberühmt, das Originaldrehbuch "Das Versprechen" zur
deutsch-spanisch-schweizerischen Co-Produktion "Es geschah am hellichten
Tag". Regisseur Ladislao Vajda und sein Co-Drehbuchautor Hans Jacoby
veränderten Dürrenmatts Vorlage, indem sie den frisch pensionierten
Kommissar Matthäi (Heinz Rühmann) am Ende über den mehrfachen
Kindermörder (Gert Fröbe) triumphieren ließen. Ganz
Adenauerzeit-getreu sollte der Serientäter seiner gerechten Strafe
nicht entkommen; "Es geschah am hellichten Tag" ist ein passabler
Kriminalfilm nach dem Grundmuster Dürrenmatts geworden, gar ein
Film-Klassiker, aber des Dichters eigentliche Idee war eine andere.
Es ging Friedrich Dürrenmatt, der nach dem Film sein Drehbuch zum
Roman "Das Versprechen" weiterentwickelt hatte, nicht um Schuld
und Sühne, nicht um die konventionelle Krimi-Grundlage der reinen
Mördersuche, sein Anliegen betraf den Kommissar selbst, der als
Rentner im Zwang, den Täter zu finden, aufgeht, bis er daran zu
Grunde geht.
Sean Penn hat Dürrenmatt verstanden und sich bei der Verfilmung
nahezu strikt an den Roman gehalten, so zeigt es seine Interpretation
von "Das Versprechen": In den Vordergrund stellt Penn die
nie zu viel verratende Mimik Jack Nicholsons als Einzelgänger
Jerry Black, der bei seiner Abschiedsfete vom Polizeidienst eher beiläufig
vom grausamen Tod eines achtjährigen Mädchens erfährt.
Er fühlt sich verpflichtet, dabei zu sein, wenn die Eltern vom
Verlust erfahren, vor Ort fühlt er sich verpflichtet, es den
Eltern selber an Stelle des begleitenden Kollegen mitzuteilen. Dann
lässt er sich von der Mutter in die Pflicht nehmen, auf Jesus
Christus schwörend so lange den Täter zu suchen, bis er
dingfest ist. Dieser scheint schnell gefunden, Toby Jay Wadenah (Benicio
Del Toro) wurde am Tatort gesehen, der geisteskranke Indianer ist
als Vergewaltiger sogar bekannt und vorbestraft. Aber Black wird seinem
Eid nachkommen und den Ruhestand anders als geplant verbringen...
Die
kleine, bergige und damit beim Leser unterbewusst die Vorstellung
von Enge erwirkende Schweiz Dürrenmatts dient bei Regisseur Sean
Penn nicht mehr als Ort der Handlung, hier ist es die genauso klaustrophobisch
endlose Weite Nevadas, diese schneebedeckte Flachlandschaft, die einmal
in schockierenden Bildern mit Blut getränkt sein wird. Es ist
auch diese endlose Weite Nevadas, in der der wahre Täter überall
sein kann: In diese Idylle zieht sich Jerry Black zurück, um
als scheinbar friedfertiger Pensionär sein weiteres Leben aufzunehmen.
Endlich hat er als Privatmann die lang ersehnte Zeit, sich seinem
Hobby, dem Angeln, voll und ganz zu widmen. Aber er legt noch einen
anderen Köder aus, den er in der Tochter der Kellnerin Lori (Robin
Wright-Penn) findet: Die kleine Chrissy spielt auf der Straße
vor Blacks Haus, er selber versucht die an seiner zwischenzeitlich
gekauften Tankstelle vorbei kommenden Autofahrer kennen zu lernen,
mit dem speziellen Augenmerk darauf, wie sie sich Chrissy gegenüber
verhalten. Dabei führt Penn den Zuschauer wie die Protagonisten,
mit denen Black fortan lebt, geschickt an Blacks bedingungsloser Tätersuche
vorbei: Der Ex-Detective gibt sich jetzt so sehr als treusorgender
Familienvater in spe, dass ein gemeinsames Leben Loris mit Black wahrscheinlicher
wirkt als ein weiteres pflichtgebundenes Vorgehen Blacks gegen den
Unbekannten. Blacks innerer Antrieb ist dann nur noch in seiner Sorgfalt
zu erahnen, mit der er Chrissy vor sich freundlich gebenden bösen
Autofahrern warnt.
Das ist die besondere Leistung des Regisseurs Penn: Nur in wenigen
Szenen wird dem Zuschauer die Dimension des schleichenden Wahns bei
Black annähernd vor Augen geführt, so vor allem, wenn eine
Psychologin (Helen Mirren) in einer Sitzung, die sie zu einer Art
Verhör zu steigern weiß, Blacks inneren Kampf mit sich
selbst enttarnt. Black kommt dabei der zerstörten Seele des Toby
Jay Wadenah mitsamt dessen unkontrollierter Mimik nahe, die der Zuschauer
bereits von Black aus der ersten Einstellung des Films kennt. Diese
war ein Vorausblick auf den am Schluss des Films entkernten Ex-Detective,
zerrüttet von der Vergeblichkeit, einen Täter zu suchen,
der Chrissy tatsächlich in Gefahr bringen wird, und doch am ausgelegten
Köder nicht anbeißt, als ob es keinen Mörder geben
würde - Blacks Zerstörung einleitend, eine Zerstörung
der geachteten Person Jerry Black und eine Zerstörung der Seele
dessen, der seinem alten Beruf und der sich daraus ableitenden Manie
nicht mehr entkommt.
USA 2001
Regie: Sean Penn;
Darsteller: Jack Nicholson ("Crossing Guard - Es geschah
auf offener Straße", 1995 (auch unter der Regie von Sean
Penn); Jerry Black), Benicio Del Toro (Toby Jay Wadenah), Aaron Eckhart (Stan Krolak), Helen Mirren (Psychologin), Robin Wright-Penn
(Lori), Pauline Roberts (Chrissy), Vanessa Redgrave (Annelise Hansen),
Mickey Rourke (James Olstad), Sam Shepard (Eric Pollack), Harry Dean
Stanton (Floyd Cage), Patricia Clarkson (Margaret Larsen), Tom Noonan, Lois Smith u.a.; Drehbuch: Jerzy Kromolowski, Mary Olson-Kromolowski;
Länge: 123 Minuten; FSK: ab 12 Jahren.