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November 2001
Eines Mannes Eid, Rot zu sehen
Das Versprechen (2001) Aktueller hätte Sean Penns Neuverfilmung von Friedrich Dürrenmatts
Roman "Das Versprechen" nicht sein können: In der Zeit,
in der der amerikanische Spielfilm Wettbewerbsbeitrag bei den Filmfestspielen
in Cannes 2001 war, begann eine Kindermordserie Deutschland in Atem
zu halten. Zum deutschen Kinostart des Films im Oktober 2001 bewegt
die USA der Terroranschlag auf World Trade Center und Pentagon - der
Ruf der Amerikaner nach Bestrafung der Täter ist verständlicherweise
zu hören, sich steigernd in Begriffe wie Rache bis hin zur kompromisslosen
Vergeltung. Beide Hauptnachrichten-Meldungen des Jahres 2001 finden
sich, reiner, aber Grauen erweckender Zufall, in "Das Versprechen"
wieder: Der gerade pensionierte Kriminale Jerry Black (Jack Nicholson)
ahnt, dass der wahre Mörder eines achtjährigen Mädchens
noch frei ist und wieder töten könnte. Blacks Suche nach
dem Täter und sein sogar aufs Kreuz vereidigter Wunsch nach dessen
Bestrafung steigert sich schleichend, aber unaufhaltsam in Besessenheit.
1958 schrieb der Schweizer Dichter Friedrich Dürrenmatt, durch Dramen wie "Der Besuch der alten Dame" und "Die Physiker" weltberühmt, das Originaldrehbuch "Das Versprechen" zur deutsch-spanisch-schweizerischen Co-Produktion "Es geschah am hellichten Tag". Regisseur Ladislao Vajda und sein Co-Drehbuchautor Hans Jacoby veränderten Dürrenmatts Vorlage, indem sie den frisch pensionierten Kommissar Matthäi (Heinz Rühmann) am Ende über den mehrfachen Kindermörder (Gert Fröbe) triumphieren ließen. Ganz Adenauerzeit-getreu sollte der Serientäter seiner gerechten Strafe nicht entkommen; "Es geschah am hellichten Tag" ist ein passabler Kriminalfilm nach dem Grundmuster Dürrenmatts geworden, gar ein Film-Klassiker, aber des Dichters eigentliche Idee war eine andere. Es ging Friedrich Dürrenmatt, der nach dem Film sein Drehbuch zum Roman "Das Versprechen" weiterentwickelt hatte, nicht um Schuld und Sühne, nicht um die konventionelle Krimi-Grundlage der reinen Mördersuche, sein Anliegen betraf den Kommissar selbst, der als Rentner im Zwang, den Täter zu finden, aufgeht, bis er daran zu Grunde geht.
Das ist die besondere Leistung des Regisseurs Penn: Nur in wenigen Szenen wird dem Zuschauer die Dimension des schleichenden Wahns bei Black annähernd vor Augen geführt, so vor allem, wenn eine Psychologin (Helen Mirren) in einer Sitzung, die sie zu einer Art Verhör zu steigern weiß, Blacks inneren Kampf mit sich selbst enttarnt. Black kommt dabei der zerstörten Seele des Toby Jay Wadenah mitsamt dessen unkontrollierter Mimik nahe, die der Zuschauer bereits von Black aus der ersten Einstellung des Films kennt. Diese war ein Vorausblick auf den am Schluss des Films entkernten Ex-Detective, zerrüttet von der Vergeblichkeit, einen Täter zu suchen, der Chrissy tatsächlich in Gefahr bringen wird, und doch am ausgelegten Köder nicht anbeißt, als ob es keinen Mörder geben würde - Blacks Zerstörung einleitend, eine Zerstörung der geachteten Person Jerry Black und eine Zerstörung der Seele dessen, der seinem alten Beruf und der sich daraus ableitenden Manie nicht mehr entkommt.
Michael Dlugosch /
Wertung:
* * * * (4 von 5)
Quelle der Fotos: Warner Bros. Filmdaten Das Versprechen (2001) (The Pledge) USA 2001 Regie: Sean Penn; Darsteller: Jack Nicholson ("Crossing Guard - Es geschah auf offener Straße", 1995 (auch unter der Regie von Sean Penn); Jerry Black), Benicio Del Toro (Toby Jay Wadenah), Aaron Eckhart (Stan Krolak), Helen Mirren (Psychologin), Robin Wright-Penn (Lori), Pauline Roberts (Chrissy), Vanessa Redgrave (Annelise Hansen), Mickey Rourke (James Olstad), Sam Shepard (Eric Pollack), Harry Dean Stanton (Floyd Cage), Patricia Clarkson (Margaret Larsen), Tom Noonan, Lois Smith u.a.; Drehbuch: Jerzy Kromolowski, Mary Olson-Kromolowski; Länge: 123 Minuten; FSK: ab 12 Jahren.
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