07.04.2018
Intelligente Studie über Identitätskrise und Rassenwahn

Das Mädchen aus dem Norden


Das Mädchen aus dem Norden Mit "Das Mädchen aus dem Norden" kommt ein hervorragendes Spielfilmdebüt aus Schweden in die deutschen Kinos. Hervorragend deswegen, weil Regisseurin Amanda Kernell aufgrund ihrer Lebensgeschichte weiß, wovon sie erzählt, und es vermitteln kann. Ein 14-jähriges Mädchen, Elle Marja (Cecilia Sparrok), gehört dem schwedischen Volk der Samen an. Die Handlung spielt in den 1930er-Jahren, Rassismus ist an der Tagesordnung: Die großen, blonden Schweden blicken verächtlich auf das kleinwüchsige, schwarzhaarige Sámi-Mädchen herab, aber Elle Marja hat ein starkes Selbstbewusstsein. Bald versucht sie, ihre Herkunft zu leugnen und nimmt den Namen Christina an, sogar von ihrer Familie wendet sie sich ab.
Filmemacherin Kernell, die zuvor nur Kurzfilme drehte, hat einen samischen Vater und eine schwedische Mutter. Die feindliche Stimmung gegenüber den Samen einem größeren Publikum bekannt zu machen, war ihr Anliegen. Mit diesem Film gelingt ihr nicht nur dies, sondern auch eine allgemeine Studie über Identitätskrise und Rassenwahn.

Das Mädchen aus dem Norden Nur höchst ungern fährt die etwa 70-jährige Dame mit ihren Angehörigen mit. Ihre Schwester ist gestorben, aber dies ist kein Grund für sie, bei der Beerdigung dabei zu sein. Die Dame, Christina, übernachtet statt bei den samischen Verwandten lieber im Hotel. Dort unterhält sie sich mit Touristen, die sich wie sie über die Motoradfahrer draußen ärgern. Die Krachmacher sind Samen. Christina kommt nicht von hier, betont sie. Es stimmt nicht. Die reife Dame ist Elle Marja als ältere Frau in der Rahmenhandlung, die geschätzt in den 1990er-Jahren spielt. Christina blickt in die Vergangenheit, die Haupthandlung liegt um gut 50 Jahre zurück: Die junge Elle Marja soll, wie jeder in der Familie, Rentierzüchterin werden. Zunächst muss sie mit ihrer Schwester Njenna ins lappländische Internat. Die blonde, schwedische Lehrerin hinterlässt auf Elle Marja Eindruck; die 14-Jährige möchte selber Lehrerin werden. Dazu müsste sie studieren. Die Lehrerin sagt: Das geht nicht. Es sei erwiesen, dass Samen nicht klug genug sind. Obwohl sie Elle Marja durchaus Intelligenz zuschreibt. Die Lehrerin empfängt Gäste. Es sind Rasseforscher, sie demütigen Elle Marja. Bald flüchtet das Mädchen erstmals aus dem Internat; beim zweiten Verschwinden schafft sie es in die Stadt Uppsala. Dort wohnt ein junger Schwede namens Niklas, den sie bei der ersten Flucht auf einer Party kennenlernte. Niklas durchschaut ihr Spiel, ist aber nicht so rassistisch veranlagt wie andere. Sein Problem ist, dass er unter der Fuchtel der Eltern steht, die "Christina" rauswerfen.

Das Mädchen aus dem Norden Viele Samen, erläutert Amanda Kernell, trügen "einen anderen Namen, bezeichnen sich selbst als Schweden, verschweigen ihre Vergangenheit und pflegen mit dem anderen Teil der Familie keinen Kontakt mehr." Für die Regisseurin sei der Film "eine Liebeserklärung an die Älteren meiner Familie und ihre Generation. Einige von ihnen wollen mit den Samen nichts zu tun haben, lehnen sie völlig ab und reden ziemlich schlecht über sie, obwohl sie doch selbst Samen sind." Den Konflikt mit der eigenen Herkunft stellt Kernell in ihrem Film so drastisch wie perfekt heraus. Der Film ist sehr gut ausbalanciert: Langsame, einfühlsame Szenen wechseln sich mit Tempo in der Erzählung ab, die Regisseurin findet das richtige Timing. Immer behält Kernell die Frage nach der Identität und die Herkunftsleugnung im Blick. Den Rassismus schildert die Autorenfilmerin in kluger abgemilderter Form, nie übertrieben, sondern zeigt ihn beispielsweise bei der Lehrerin als unterschwellig bis leise hervortretend. "Das Mädchen aus dem Norden" ist ein Juwel von einem Debütfilm, von Amanda Kernell sind weitere Filme zu wünschen.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * * * * (5 von 5) 
 

Quelle der Fotos: temperclay Filmverleih

 
Filmdaten 
 
Das Mädchen aus dem Norden (Sameblod) 
 
Schweden/Norwegen/Dänemark 2016
Regie & Drehbuch: Amanda Kernell;
Darsteller: Cecilia Sparrok (Elle Marja), Erika Sparrok (Njenna), Maj Doris Rimpi (ältere Christina / Elle Marja), Julius Fleischanderl (Niklas), Olle Sarri (Olle), Hanna Alström (Lehrerin), Malin Crépin (Elise), Andreas Kundler (Gustav), Ylva Gustafsson (Laevie) u.a.;
Produzent: Lars G. Lindström; Kamera: Sophia Olsson, Petrus Sjövik; Musik: Kristian Eidnes Andersen; Schnitt: Anders Skov;

Länge: 112,33 Minuten; FSK: ab 6 Jahren; ein Film im Verleih von temperclay Filmverleih; deutscher Kinostart: 5. April 2018

Auszeichnungen:
Lux-Preis des Europäischen Parlaments, Europa Cinemas Label
Weltpremiere auf der Filmbiennale Venedig 2016



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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