21.03.2006
"Unterschätzen
Sie die Stasi nicht"
Das Leben der Anderen
Zu Hause, im Stadion, am Telefon, in der Post – überall
war die Stasi präsent. Aber nicht im Kino. Erst 15 Jahre
nach ihrer Auflösung
wird dieser prägende Bestandteil der DDR im Spielfilm reflektiert.
Hauptmann Gerd Wiesler wird auf den
Dramatiker Georg Dreymann angesetzt. Der bis dahin funktionierende
Spitzel entwickelt jedoch kritisches Denken und Gefühle für
seine Opfer – eine Entwicklung also, die in der Realität
vorgekommen sein mag, allerdings mit hohem Seltenheitswert.
Die ersten Bilder sind erschütternd: Sie zeigen, mit welchen Methoden Wiesler
Verdächtige in einem dunklen Verlies verhört. Wiesler arbeitet berechnend
und präzise, während die Verhörten weinen. Die Verhörszenen
werden allerdings immer wieder unterbrochen durch Bilder von Wieslers Seminaren
an der Stasi-Hochschule. Hier erfahren die Studierenden (und das Kinopublikum)
die Hintergründe der praktischen Arbeit. Es wird deutlich, dass Wiesler
vom System der DDR überzeugt ist. Die Verhöre stehen für ihn im
Dienst des Sozialismus, des großen Ganzen, an das er glaubt. In diesen
Szenen und angesichts der Verwanzung einer Wohnung kommt zur Wut des Zuschauers
auch Bewunderung für den Perfektionismus des Geheimdienstes, der mit CIA
und Mossad als bester der Welt galt.
Als Wiesler, der bis dahin nur mit „kleinen Fischen“ zu tun hatte, auf den populären Dramatiker angesetzt wird, erfährt er erstmals, dass es nicht nur die Ideologie ist, die zählt, sondern vor allem Machtpolitik und Intrigen: Die Spitze des Staates ist karrieregeil, nicht ideologisch. Dreymann soll nicht der regelmäßigen ideologischen Prüfung unterzogen, sondern möglichst zu Fall gebracht werden, um die Karriere eines Politikers zu beflügeln. Ein Schlüsselerlebnis ist für Wiesler die Nötigung von Dreymanns Freundin, einer Künstlerin, durch den Kulturminister: Ausstellungserlaubnis gegen Sex. Der Spitzel wird kritisch gegenüber dem System und entwickelt sich zum Mittäter (nach DDR-Recht).
Durch Ulrich Mühe wird die ungewöhnliche – und untypische – Geschichte eines Stasi-Spitzels für den Zuschauer vollkommen glaubwürdig erzählt. Es ist für den Zuschauer auch in Zeiten seiner Linientreue unmöglich, den Stasi-Mann, der seine Verhörten in die Verzweiflung treibt, als grundsätzlich schlechten Menschen zu verurteilen. Als „Verräter“ seines Systems, der er wird, aber auch als Verhör-Führer wirkt er nicht unsympathisch, sondern eher als guter Mensch, der am Anfang eben für eine Ideologie kämpft, an die er glaubt. Dies ist jedoch auch der einzige Punkt, der an dem Film kritisch betrachtet
werden muss: Der Film stellt nicht eine Figur in den Vordergrund, die perfekt
die Unterdrückung
verkörpert, sondern den Gutmenschen Wiesler. Diese Perspektive,
die eine Verharmlosung darstellt, schwächt den Film allerdings nicht entscheidend,
denn das Klima der Unterdrückung ist nichtsdestotrotz allgegenwärtig.
Ausnahmslos jeder Kinofilm, der die DDR im Rückblick thematisierte, malte ein rosarotes Bild der Ostalgie. Die ersten beiden Filme hatten noch einen gewissen Wert: „Sonnenallee“ (1999) zeigt, dass im Osten eben nicht alles schlechter war als im Westen, wie viele Wessis in ihrer Sanierermentalität (Stichwort: „Buschzulage“) glaubten. „Helden wie wir“ hingegen ist schon wegen seiner satirischen Anspielungen auf Christa Wolf bedeutend und kann außerdem als Versuch gesehen werden, den Mauerfall zu entmythisieren. Seitdem
herrschte Stillstand. Filme wie „Good Bye Lenin“ oder „NVA“ sind
unterhaltsam und erfolgreich – mehr aber auch nicht.
Die ostalgische Idee des „menschlichen Ostens“ wurde einfach immer
wieder neu variiert. Dies kann man als Indikator der Intensität der Verletzung
der DDR-Bürger durch den Westen werten – oder aber als simple Methode,
mit alten Rezepten Geld zu verdienen, denn die meisten dieser Ostalgie-Filme
waren Kassenschlager. Wenn dann noch beliebte Privatsender Sendungen wie „Die
große DDR-Show“ produzieren, ist
es höchste
Zeit, ein massentaugliches Gegenmittel zu entwickeln. "Unterschätzen
Sie die Stasi
nicht", heißt es in "Das Leben der Anderen“.
Tobias Vetter /
Wertung:
* * * * *
(5 von 5)
Quelle der Fotos: Buena Vista Filmdaten Das Leben der Anderen Deutschland 2005 Regie und Drehbuch: Florian Henckel von Donnersmarck Darsteller: Ulrich Mühe (Gerd Wiesler), Martina Gedeck (Christa-Maria Sieland), Sebastian Koch (Georg Dreymann), Ulrich Tukur (Anton Grubitz), Thomas Thieme (Bruno Hempf), Hans-Uwe Bauer (Paul Hauser), Charly Hübner (Udo), Herbert Knaup (Gregor Hessenstein), Bastian Trost (Häftling), Martin Brambach (Einsatzleiter Meyer), Hinnerk Schönemann (Unterleutnant Axel Stigler), Matthias Brenner (Karl Wallner), Marie Gruber u.a.; Kamera: Hagen Bogdanski; Länge: 132 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Buena Vista; deutscher Kinostart: 23. März 2006 |
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