20. Februar 2001
Hollywood wagt eine Zeitkritik
Cast Away - Verschollen Heute Memphis, morgen Russland, dann Südamerika. Chuck Noland hat viele Termine, aber keine Zeit. Der bodenständige Topmanager des amerikanischen Postunternehmens FedEx ist beruflich zum Kampf gegen die Uhr verpflichtet, denn Zeit ist Geld im Postgewerbe. Selbst sein Privatleben kann er vor diesem rasanten Rhythmus nicht schützen: Weihnachten feiert er mit seiner Lebensgefährtin im Auto auf dem Flughafen. Hastig verspricht er, Sylvester wieder zurück zu sein, und schon ist er wieder in der Luft. Doch die FedEx-Maschine stürzt über dem Pazifik ab. Chuck überlebt als einziger in seiner Rettungsinsel, die ihn an den Strand einer unbewohnten Insel trägt. Obwohl Chuck anfangs keinen Augenblick lang verzagt und alles für seine Rettung vorbereitet, dauert es vier Jahre, bis er die Insel verlassen kann. Vier Jahre - wie viele Ewigkeiten müssen das für jemanden sein, dem schon bei wenigen Minuten Verspätung die Finger feucht werden?
Regisseur Robert Zemeckis setzt diesen Zeitunterschied perfekt um:
Immer schneller werden die Bilder von der modernen Welt - bis zum
Kollaps. Danach spielt sich das Leben des Kosmopoliten auf einer
kleinen Insel ab, wo Knacklaute der Natur, Wind- und
Meeresrauschen das einzige Aufregende sind.
Auch technisch ist der Film vollkommen. Atemberaubend ist vor allem die Nachvertonung. Als es nachts zu regnen beginnt, scheinen die Tropfen auf die Decke des Kinosaals zu prasseln, und als Zuschauer will man sich schutzsuchend in den Sessel kriechen wie Chuck in seine Höhle.
Besonders eindrucksvoll ist auch
die Kameraführung: Auf einem Berg, hoch über dem Meer, robbt
Chuck an den Rand des Felsens, um nach unten schauen zu
können. Die Kamera fährt schneller in dieselbe Richtung, so dass
man meint, jeden Moment hinabstürzen zu können.
"Cast Away" stellt vielschichtig und kritisch die Hektik der globalisierten Konsumgesellschaft dar. Die Menschen haben keine Zeit füreinander und kennen sich nur oberflächlich: Trotz eines persönlichen Verhältnisses erfährt Chuck erst nach dem Tod des Piloten, dass dieser Albert, nicht Alan heißt. Verschollen auf einer abgelegenen Pazifikinsel wird Chuck deutlich, dass Menschen und Zeit wichtiger sind als Arbeit und Erfolg. Aus lauter Einsamkeit spricht er zu einem angeschwemmten Volleyball, den er Wilson nennt. "Cast Away" wäre in seiner Gesellschaftskritik wohl weniger beachtlich, wenn Film und Filmemacher keine Insider wären. Doch es ist eine Großproduktion aus Hollywood. Das macht die Kritik einerseits glaubwürdig. Auf der anderen Seite schwächt die Bindung an Erzählstrukturen à la Hollywood die Aussage des Films. Nichts bleibt offen. Wenn der Film zu Ende ist, bleiben keine Fragen. Außerdem bilden gleich zwei Rahmenhandlungen eine Pufferzone zwischen der Kritik und ihrem Gegenstand. Ein längeres Nachdenken ist nicht zwingend und die Kritik an der Gesellschaft ohne Zeit daher etwas halbherzig. Sie bleibt vermutlich wirkungslos.
Tobias Vetter /
Wertung:
* * * * (4 von 5)
Quelle der Fotos: 20th Century Fox Filmdaten Cast Away - Verschollen (Cast Away) USA 2000 Regie: Robert Zemeckis;
Länge: 143 Minuten; FSK: ab 12 Jahren
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