14.11.2013
Prom Night

Carrie (2013)


Carrie (2013) "There will be a judgement!", verkündet Margaret White (Julianne Moore), Mutter der Titelfigur von Kimberly Peirce' unsicherem Pastiche von Brian De Palmas "Carrie". In ihrem blutigen Rachezorn ist die Handlungsträgerin (Chloë Grace Moretz) des gleichnamigen Romans von Stephen King psychisch ein Buch mit sieben Siegeln. Geöffnet von der Schlüsselfigur Margaret, offenbaren sie keine Persönlichkeitseinsicht, sondern was die religiöse Fanatikerin prophezeite: ein Gericht, das Jüngste Gericht, über sie und alle übrigen Charaktere und nach ihm die Apokalypse.

Die Verschiebung des Fokus auf Margaret, die ihrer Tochter als grausame Märtyrerin Konkurrenz macht, ist die einzige nachhaltige Innovation gegenüber De Palma. Sein mokanter Voyeurismus erfasste 1976 von der psychologischen Brutalität der Vorlage so wenig wie heute die geistesabwesende Süßlichkeit des uneingestandenen Remakes. Die Kleinstadt, in der die von allen Mitschülern und am grausamsten von der verwöhnten Chris Hargensen (Portia Doubleday) gepeinigte Außenseiterin die Abschlussklasse besucht, heißt Chamberlain wie bei King, statt Bates wie bei De Palma, doch dies heißt nicht, dass Peirce sich näher an die Vorlage wagt. Kings erster veröffentlichter Roman, in dem er eigene Erfahrungen als Lehrer verarbeitete, ist offenbar nach wie vor für eine konvergente Verfilmung zu brutal. Nicht etwa in der Abbildung physischer Gewalt, die beide Regisseure zelebrieren, sondern in der Abbildung emotionaler Boshaftigkeit. Keine Adaption vermittelt die unentrinnbare Agonie Carries, die an der High School von den anderen Jugendlichen und daheim von ihrer Mutter terrorisiert wird. De Palmas penetrante Hitchcock-Anspielungen ersetzt eine andere Form selbstgenügsamer Referenz.

Carrie (2013) Lawrence D. Cohen, der mit Roberto Aguirre-Sacasa das Drehbuch schrieb, huldigt seiner Musical-Fassung von "Carrie", auf die das Teaser-Poster mit Moretz' blutverschmiertem Gesicht bezieht. Die literarische Gestalt hinter den Bearbeitungen, die stets nur die letztjüngste Version und den Status von Carrie als Horror-Ikone zur Orientierung zu nehmen scheinen, wird stückweise absorbiert. Diese Stilisierung spiegelt auf bizarre Weise das Schicksal der Hauptfigur. Margaret nennt das Kind, das sie während eines Prologs zur Welt bringt, "eine Prüfung" und hielt die Tochter ursprünglich für Krebs. Die Assoziation verweist auf Carries soziale Stigmatisierung. Geduckt, prüde gekleidet und verschüchtert, ist das Mädchen das sichtbare Symptom eines allgemeinen Übels. Angespornt von sozialem oder religiösem Sadismus sucht ihr Umfeld nach einem Sündenbock. In Carrie hat es ihn gefunden, über den Tod hinaus, wie ihr beschmierter Grabstein zeigt. In Chamberlain gedenkt Carrie, die mit dem Auftreten der ersten Periode ihre telekinetischen Kräfte entdeckt, als "Hexe". Als solche beschimpft sie zuvor Margaret, deren fundamentalistischer Wahn zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird. Der Fluch des Blutes, den sie Carries Periode als Folge angeblicher Sünden nennt, trifft Carrie wahrhaftig: als Schwall Schweineblut, das Chris und ihr Bad-Boy-Freund Billy (Alex Russell) über die Königin des Abschlussballs gießen.

Carrie (2013) Die von Margaret ebenfalls vorhergesagte Erniedrigung bestraft Carries Wunsch an den harmlosen Freunden jener "gottlosen Zeiten" teilzuhaben und den Trotz gegen ihre Mutter, die ihr rosa Ballkleid schon vor dem Blutregen rot nennt. Das von Carrie wie ein Orchester dirigierte Inferno richtet alle Sünder, eingeschlossen Carrie selbst. "Du sollst nicht dulden, dass eine Hexe lebt", gebietet die Bibel, mit der Margaret die Tochter vor den Kopf schlägt. Die gleiche Taktik verfolgt Peirce, die Carries Klassengefährtin Sue Snells (Gabriella White) ein deklamatorisches Fazit aufbürdet und kanonische Metaphern exerziert. John Milton, aus dessen "Samson Antagonistes" Carrie in der Klasse vorliest, schrieb auch: "What if the breath that kindled those grim fires, awaked, should blow them into sevenfold rage, and plunge us in the flames...?" Carries rote rechte Hand – blutüberströmt und bildlich untermauert – plagt jene, die nicht Buße tun wie Sue. Dabei unterminiert gerade ihr Aufbau zur positiven Identifikationsfigur die unangenehme Empathie, die ein Nebensatz fordert: "Stellt euch vor wie es wäre Carrie White zu sein."  

Lida Bach / Wertung: * * (2 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Sony Pictures

 
Filmdaten 
 
Carrie (2013) (Carrie (2013)) 
 
USA 2013
Regie: Kimberly Peirce;
Darsteller: Chloë Grace Moretz (Carrie White), Julianne Moore (Margaret White), Judy Greer (Miss Dejardin), Portia Doubleday (Chris Hargensen), Alex Russell (Billy Nolan), Gabriella Wilde (Sue Snell), Ansel Elgort (Tommy Ross), Barry Shabaka Henley (Principal Morton) u.a.;
Drehbuch: Lawrence D. Cohen and Roberto Aguirre-Sacasa nach dem ersten Roman von Stephen King; Produzent: Kevin Misher; Kamera: Steve Yedlin; Musik: Marco Beltrami; Schnitt: Lee Percy, Nancy Richardson;

Länge: 99,49 Minuten; FSK: ab 16 Jahren; ein Film im Verleih der Sony Pictures Releasing GmbH; deutscher Kinostart: 5. Dezember 2013



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Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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