2. März 2006

Die Sehnsucht des Intellektuellen nach niederen Trieben

Capote


CapoteEnde 1959 reiste der Dichter Truman Capote in die Provinz, um Fakten für einen Tatsachenroman zu recherchieren. "In Cold Blood" ("Kaltblütig") wurde sein größter Erfolg, gleichzeitig der Beginn seines Niedergangs; emotional hatte er zu viel investiert. Ein Biopic, wie es sie zuletzt häufig gab, ist "Capote" nicht im eigentlichen Sinne - aber ein intensives Porträt des schillernden Dandys zum Zeitpunkt seiner schleichenden Identitätskrise auf Grund von Besessenheit.

Auch Cineasten, die nie ein Buch in die Hand nehmen, können Truman Capote kennen. Als Vorlagengeber für "Frühstück bei Tiffany" ("Breakfast at Tiffany's", Regie: Blake Edwards, 1961). Und gar als Schauspieler: durch den Krimi-Jux "Eine Leiche zum Dessert" ("Murder by Death", Regie: Robert Moore, 1976); dort führte er eine beachtliche Darstellerriege an (des Weiteren: Sir Alec Guinness, Peter Sellers, David Niven, Elsa Lanchester, Peter Falk u.a.).

Capote FilmplakatTruman Capote gelang es, als Dichter wie als Jetsetter in der New Yorker High Society Kultstatus zu erlangen. Und zwar als ein sich offen bekennender Homosexueller, eine Leistung für sich. Seine sehr helle Stimme, sein weiblich wirkendes Benehmen, alles akzeptiert - Capote gab die rauschendsten Partys.

Welch Kontrast. November 1959 setzte sich Capote (Philip Seymour Hoffman) in den Zug. Er fuhr nach Kansas, in die Provinz:
"Das Land ist so flach, dass man nach allen Seiten unheimlich weite Ausblicke hat. Pferde, Rinderherden, eine Gruppe von weißen Getreidesilos, schlank und anmutig wie griechische Tempel, sieht man schon lange, bevor man herankommt."
So beginnt "Kaltblütig". Hierhin verschlug es Capote, den Dandy; ein kleiner Zeitungsartikel über die Ermordung einer vierköpfigen Familie war der Auslöser. Die Mörder waren noch unbekannt, Capote plante eigentlich einen Roman darüber, wie das Dorf Holcomb mit der Tragödie umgehen würde. Es sollte anders kommen.

CapoteDie beiden Täter ließen sich mit ungedeckten Schecks erwischen. Capote suchte den Kontakt der Inhaftierten und gewann ihr Vertrauen. Speziell mit Perry Smith (Clifton Collins Jr.) entstand eine innigere Freundschaft als Capote hatte lieb sein können. Capote brauchte die Interviews; Smith und Hickock seine Unterstützung. Capote besorgt bald Anwalte; erwirkt mehrfach den Aufschub der Hinrichtungen. Um möglichst viel von beiden zu erfahren. Und: Um Perry nicht zu verlieren. Bis er im Dilemma steckt, von dem er sich, wie er später seinem Biografen mitteilte, nie erholt hat: Der Roman benötigt als dramatisches Ende doch die Urteilsvollstreckung, Smith muss sterben. Der Roman, in den Capote knapp sieben Jahre seines Lebens investiert hat, sorgt für höchsten literarischen Ruhm. Und zerstört ihn, denn er investierte zu viel Emotion; und brachte ihm das Eingeständnis, seinerseits zu Handlungen "in cold blood" fähig zu sein. Während der Arbeit an "Kaltblütig" begann Capote mit dem Konsum von Alkohol und Tabletten. Danach, bis zum Tod durch eine Überdosis 1984, konnte Capote kein Prosawerk mehr vollenden. Nur unterschwellig zeigt der Film dieses Zugrundegehen des legendären Künstlers, nie direkt ausformuliert. Spielfilmregie-Debütant Bennett Miller lässt dazu bravourös die Mimik des Hauptdarstellers Philip Seymour Hoffman sprechen.

CapoteDer Film "Capote" schildert die Sehnsucht eines Intellektuellen nach den niederen Trieben. Capote identifiiziert sich zunehmend mit den Mördern, geht eine Innigkeit mit ihren Antrieben ein; speziell über die Beziehung zu Smith sagt er, es sei mit Perry, als ob beide in einem Haus gelebt hätten. Eines Tages hätte der eine das Haus durch die Vordertür, der andere durch die Hintertür verlassen. Es ist die dunkle Seite eines Verbrechers, die auch einen wohlgesitteten Menschen wie Capote Faszination verspüren lässt, wie ein Krimi oder Thriller in den Bann ziehen kann. In "Capote" ist dies spätestens dann ersichtlich, wenn Smith kurz vor der Hinrichtung seinem vermeintlich loyalen Unterstützer Capote beichtet, er alleine und nicht auch der vermeintlich grobschlächtigere Kompagnon Hickock hätte im Rausch alle vier Clutters getötet. Danach folgte der Tod am Strang, den Capote nicht mehr durch Vermittlung aufzuschieben bereit war; für den vollendeten Roman, den vollendeten Ruhm und eine Version nicht enden wollenden Liebeskummers.  

Michael Dlugosch / Wertung:  * * * * (4 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Sony Pictures

 
Filmdaten 
 
Capote  (USA 2004)  
 
Regie: Bennett Miller;
Darsteller: Philip Seymour Hoffman (Truman Capote), Catherine Keener (Nelle Harper Lee), Clifton Collins Jr. (Perry Smith), Chris Cooper (Alvin Dewey), Bruce Greenwood (Jack Dunphy), Bob Balaban (William Shawn), Amy Ryan (Marie Dewey), Mark Pellegrino (Dick Hickock), Allie Mickelson (Laura Kinney), Marshall Bell (Warden Marshall Krutch), Araby Lockhart (Dorothy Sanderson) u.a.; Drehbuch: Dan Futterman nach dem Buch von Gerald Clarke; Produktion: Caroline Baron, William Vince, Michael Ohoven; Ausführende Produktion: Dan Futterman, Philip Seymour Hoffman, Kerry Rock, Danny Rosett; Assoziierte Produktion: Kyle Mann, Dave Valleau, Emily Ziff, Kyle Irving; Kamera: Adam Kimmel; Musik: Mychael Danna; Länge: 114 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Sony Pictures Releasing GmbH



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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