07.05.2000

Breaking the Waves


Bess ist naiv, aber sehr gläubig; deshalb muß sie ihre verknöcherte calvinistische Gemeinde an der schottischen Küste darum bitten, Jan, einen der Männer von der Bohrinsel, heiraten zu dürfen, was diese ihr nur zögerlich gewährt. Auch die Hochzeitsfeier manifestiert eher den Gegensatz zwischen Dorfbewohnern und Bohrcrew, als zu einer Annäherung beizutragen.

Breaking the Waves: Filmplakat Bess und Jan haben unheimlich tollen Sex, aber bald muß er zurück auf seine Bohrinsel. Bess jammert und betet täglich um seine baldige Rückkehr, und er kommt auch - vom Halse abwärts gelähmt in Folge eines tragischen Unfalls. Und Bess ist schuld. Glaubt sie. Und hat Schuldgefühle bis dorthinaus, hängen doch von ihrem Glauben und Handeln Gedeih und Verderb des geliebten Gatten ab. Als Jan sie dann auch noch auffordert, Ehebruch zu begehen und ihm diesen zu beschreiben - er stelle sich dann gemeinsamen Sex vor und werde wieder gesund - sieht sich Bess in der Zwickmühle und versinkt im Sumpfe der Unmoral, und ihr Ruf ist endgültig beim Teufel.

Herausragend ist die Komplementärcharakterisierung von Bess und ihrer Schwägerin Dorothy: Bess kommt nicht mit der vorübergehenden Trennung von Jan zurecht, schon die Vorstellung setzt ihre primitiven Abwehrmechanismen in Gang. Ihre Ungeduld beruht auf mangelnder Objektkonstanz. Sie gilt als labil, mußte sie doch schon beim Tode ihres Bruders Sam in die Psychiatrie. Ihr rigides, unzureichend integriertes Überich begegnet ihr als Gott in ihren Selbstgesprächen. Sie geht keiner geregelten Arbeit nach, sondern putzt nur öfters die karge Kirche. Dorothy hingegen hat den Tod ihres Gatten Sam gut verarbeitet; sie blieb am Ort, fand Arbeit als Krankenschwester und sorgte sich um Bess wie um eine Schwester. Auch mit ihrer eher zurückhaltenden Art paßt sie besser in die Gemeinde als Bess in ihrem Überschwange. Der Film zeigt eine calvinistisch-kreative Umdeutung von Lukas 10,38-42, der Geschichte von Maria und Martha: Anders als in der Bibel hat die fleißige Martha, repräsentiert durch Dorothy den besseren Teil verdient, und Maria respektive Bess muß leiden und büßen.

Der Regisseur Lars von Trier ist einer der Begründer von Dogma 95, einem Manifeste, welches durch technische Beschränkung des Drehaufwandes eine Rückbesinnung auf die Kunst des Geschichtenerzählens anstrebt. Da Breaking the Waves über weite Strecken viele der Kriterien einhält, wurde er schon als "nullter" Dogmafilm apostrophiert. Wesentliche Abweichungen liegen bei Kapitelvorspannen und Endszene in Bildverfremdung und Musik aus dem Off. Sonst findet sich (mit Ausnahme einer kurzen Sequenz) die Musikquelle stets in der Szenerie. Die Kamera arbeitet vor allem zu Anfang mit Wechsel zwischen scharf und verschwommen, ein Stilmittel, was jedoch ohne ersichtlichen Grund nicht durchgehalten wird - lag es etwa nur an untrainiertem Kamerapersonal?

Leider verliert sich der Film nach dem flotten Einstiege mit dem Kapitel Hochzeit und neben einigen interessanten Bildern über das Leben der Männer auf der Bohrinsel in langatmige Studien und Wiederholungen. Da der Verlauf der Geschichte vorhersehbar und relativ übersichtlich ist, haben die langen Kapitelvorspanne eher eine künstlerische als informative Funktion, versuchen sie doch weiteres Geschehen musikalisch untermalt zu visualisieren. Immerhin, wen das ewige Hin und Her der Krankheit nicht stört, bekommt nach zweieinhalb Stunden ein gewitztes und anrührendes, etwas zu dick aufgetragenes Ende geboten.  

Michaela Katzer / Wertung: * * (2 von 5) 
 

Quelle des Filmplakats: Kinowelt

 
Filmdaten 
 
Breaking the Waves   
 
Dänemark / Schweden / Frankreich / Niederlande / Norwegen / Island 1996
Regie: Lars von Trier;
Darsteller: Emily Watson (Bess McNeill), Katrin Cartlidge (Dodo McNeill), Stellan Skarsgård (Jan Nyman), Jean-Marc Barr (Terry), Udo Kier u.a.; Drehbuch: Lars von Trier, Peter Asmussen; Kamera: Robby Müller; Schnitt: Anders Refn; Länge: 159 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; deutscher Kinostart: 3. Oktober 1996

Auszeichnungen:
Vancouver International Film Festival 1996, Stockholm Film Festival 1996 (Bester nordischer Film), Robert Festival Kopenhagen 1997 (neun Auszeichnungen), New York Film Critics Circle Award 1996 (Emily Watson als Beste Darstellerin, Robby Müller für die Beste Kamera und Lars von Trier als Bester Regisseur), National Society of Film Critics Award 1996 ( s. NYFCC Award plus Bester Film), Los Angeles Film Critics Association Award 1996 (New Generation Award für Emily Watson), Fort Lauderdale Internation Film Festival 1996 (President Award für Emily Watson als Bester Darstellerin und Lars von Trier als Bestem Regisseur), European Film Award 1996 (Emily Watson als Beste Darstellerin und als Bester Film), César 1997 (Bester ausländischer Film), Preis der Tschechischen Film- und Fernsehakademie 1998 (Tschechischer Löwe für den Besten ausländischen Film), Cannes Film Festival 1996 (Großer Preis der Jury), Bodil Festival Kopenhagen 1997 (Emily Watson als Beste Darstellerin, Lars von Trier als Bester Regisseur und Katrin Cartlidge als Beste Nebendarstellerin), Nominierungen für den Golden Globe 1997 und den Academy Award 1997 (Emily Watson als Beste Darstellerin).



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Wertung: * * * * (4/5)


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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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