27.02.2016
Blue Bicycle
Worauf es im Leben wirklich ankommt, kann man nicht immer kaufen. Manchmal muss man es selbst erschaffen. Das lernt der 12-jährige Ali (Selim Kaya) schon früh. Seit sein Vater bei einem Unfall starb, muss die Mutter ihn und die kleine Schwester allein durchbringen. Gleichzeitig klagt sie vor Gericht um die Anerkennung des Unfalls. Ali kämpft unterdessen einen eigenen Kampf: für seine Schulfreundin Elif (Bahriye Arin) und mehr Gerechtigkeit in der Welt.
Die Botschaft, die Ümit Körekens Kinodebüt vermittelt, scheint zuerst nobel. Wer Gerechtigkeit will, muss gegen Unrecht aufbegehren. Nicht nur dann, wenn es einen selbst trifft, sondern immer und überall. Doch wie aufrichtig die Aussage tatsächlich ist, bleibt unklar, genau wie viele inhaltliche Zusammenhänge der Handlung. Die verspielt viel Potenzial auf Nebenschauplätzen, obwohl die Ausgangssituation Spannung verspricht. Gleich in der ersten Szene macht der Regisseur das Kinderpublikum zu Zeugen eines heimlichen Verbrechens. Zwei von Alis Mitschülern – die ganz gemeinen, macht der Plot bald klar – schleppen eine Leiche auf die Bahngleise. Es ist die Leiche von Alis Vater, der während der Arbeit verunglückt ist. Worum es bei dem Gerichtsprozess, den Alis Mutter in Folge anstrengt, konkret geht, bleibt offen. Man kann nur raten, dass es eine Form finanzieller Kompensation ist. Denn ohne ihren Ehemann ist Alis Mutter praktisch hilflos. Was sie durch Handarbeiten dazu verdient, reicht nicht einmal für die Raten ihrer Strickmaschine. Zum Glück ist da noch ihr Sohn, um durch seinen klaglosen Einsatz das Schlimmste zu verhindern. Trotz seines Alters ist der kleine Junge beim Geldverdienen erfolgreicher als die erwachsene Frau. In der Autowerkstatt, wo Ali nach dem Unterricht aushilft, macht er mit Trinkgeldern mehr als seine Mutter durch ihr Handwerk. Auf dem Markt kauft bei der Mutter höchstens aus Mitleid jemand; Ali hingegen macht im Handumdrehen ein Geschäft mit einem geklauten Handy, das eine volle Rate abbezahlt. Dabei wollte er sein Geld eigentlich für das titelgebende Fahrrad sparen. Doch auch in der Schule wird er gebraucht: Die von den Schülern gewählte Schulsprecherin Elif wurde einfach abgesetzt, um dem aus reichem Hause stammenden Hasan (Burak Vurdumduymaz) Platz zu machen. Weil Alis Herz heimlich für das Mädchen schlägt und das blaue Fahrrad, das er zu Filmbeginn sehnsüchtig im Schaufenster betrachtet, sowieso verkauft wurde, setzt er sogar sein Erspartes für Elif ein. Mit einer anonymen Kampagne machen sein bester Freund und er die Ungerechtigkeit an ihrer Schule publik. Nachdem ein Journalist bei Ali in der Werkstatt halt macht und von dessen schwerem Schicksal beeindruckt ist, steht die Kampagne der Jungen bald in der Zeitung. Der Schuldirektor ist darüber alles andere als erfreut und setzt Ali unter Druck... Auf den ersten Blick wirkt die Story wie ein Plädoyer für Fairness. Wie ehrlich das gemeint ist, ist allerdings fragwürdig, denn der Film zeigt nur Jungen als zum Gerechtigkeitskampf kompetent. Die weiblichen Figuren sind nicht in der Lage sich selbst zu helfen oder bleiben passiv. Ohne einen männlichen Beschützer, der sie liebt, sind sie gegen ihr Schicksal machtlos. Doch zu Gerechtigkeit gehört Gleichberechtigung – aber so weit ist das Kinderdrama offenbar nicht. Lida Bach /
Wertung: * *
(2 von 5)
Quelle der Fotos: Mikael-Bundsen Filmdaten Blue Bicycle (Mavi Bisiklet) Türkei/Deutschland 2015 Regie: Ümit Köreken; Darsteller: Selim Kaya (Ali), Eray Kilicarslan (Yusuf), Bahriye Arin (Elif), Katya Shenkova (Halime), Fatih Koca (Schuldirektor), Turan Özdemir (Betriebsleiter), Mustafa Kücükibis (Veysel), Burak Vurdumduymaz (Hasan) u.a.; Drehbuch & Produzenten: Ümit Köreken, Nursen Cetin Köreken; Kamera: Niklas Lindschau; Musik: Cafer Ozan Türkyilmaz; Schnitt: Ali Aga; Länge: 94 Minuten; deutscher Kinostart: unbekannt
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