18.02.2013
Berlinale 2013: Forum Expanded Screenings - Kurzfilme
158 Minuten dauert auf der 63. Berlinale der längste Film, in dem Tom Hooper eine Riege von Stars zu bombastischen Musikeinlagen durch wuchtige Kulissen führt: in einer Blockbuster-Musical-Verfilmung, die wohl unvermeidlich Oscars einheimsen und nach der Premiere im Berlinale Special in jedem Multiplex-Kino laufen wird. Ein facettenreiches Kontrastprogramm zum maßlosen Mainstream wartet im Forum Expanded Screenings.
Ein Dutzend von ihnen präsentiert der Freiraum für filmische Experimente und Impulse; mehr als zur Hälfte davon Zusammenstellungen von Kurzfilmen. Gerade 2 Minuten nimmt sich der kanadische Regisseur Joshua Bonnetta im Knappsten dieser Shorts namens "Remanence I – Lost, lost, lost, lost, lost". Der Titel ist mit seiner seriellen Benennung eines Mangels ein Paradigma des wiederkehrenden Verlustmotivs, das sich in jedem Beitrag anders zeigt und sie dennoch zur Gesamtheit macht. Einen gemeinsamen Nenner der Studiensubjekte ihrer gewitzten Vignetten sucht Isabella Rossellini in "Mammas" noch: "Was ist diese einende Eigenschaft, die alle Mütter charakterisiert?" Antwort auf die Frage geben satirische Exkursionen ins Reich der Tiere. In deren (Mutter)Rolle schlüpft die wandelbare Künstlerin persönlich, mag die originelle Kostümierung wie etwa bei der Kröte auch unbequem aussehen. "Selbstverständlich fordert das Muttersein einige Opfer. Was gibt es Großartigeres als Opfer? Es ist doch die Essenz des Weiblichen – oder?!" In "Yumen" ist das Verlorene die gemeinschaftliche Vergangenheit, die in der gleichnamigen chinesischen Ruinenstadt zwischen Relikten ökonomischer Hoffnungen spukt. Geistersagen bringen fast etwas Heimeliges an den Industrieort, wo selbst eine gespenstische Präsenz tröstender wirkt als die Ausgestorbenheit. Letzt liegt ebenso über den Schwarz-Weiß-Landschaften, die "A View from the Akropolis" zeigt. Stumme Monumente aus Antike und Moderne wechseln in Schwarz-Weiß-Bildern, bis Erhabenheit drückender Starre unterliegt. "Farther than the Eye can see" geht die Gedankenreise, auf der eine Frauenstimme in Erinnerungsberichten versinkt. "Es gibt ein Zitat: Wenn du mir deine Geschichte vom Ende an erzählst, reisen wir beide rückwärts bis wir den Anfang erreichen." Das Zurückfinden ist ein Vortasten in eine verflüchtigte Familienbiografie. Als "Pipe Dreams" entpuppen sich Forschungsträume und das Machtmonopol des syrischen Staatschefs Hafez al-Assad, der symbolisch in Form einer Statue von seinem Podest gehoben wird. In einer Parallelmontage überbringt ihm ein syrischer Astronaut Weltraumgrüße und idealisiert die Schönheit eines Landes, das Krieg zerstören wird. In "Bühne" lässt eine Hebevorrichtung die Zuschauerränge in Varnas Sportpalast verschwinden und damit jede klar abgrenzbare Funktion der in einer monotonen Langaufnahme abgefilmten Stätte. Verloren ist letztendlich gleichfalls der Sinn des Titelorts, der Regisseur Daniel Kötter vorrangig zur Selbstpräsentation dient. Ungleich überzeugender ist Sandy Amerios provokanter Konzeptfilm, dessen formale und ideologische Doppelbödigkeit das kollektive Wissen um eigene Manipulierbarkeit herausfordert. "Dragooned" beschreitet noch gefährlicheres Terrain als die "jungen G.I.‘s", die zu Beginn das Reprodukt einer historischen Nachrichtenschau anspornt. Die täuschend echte Rekonstruktion der fiktiven Rekonstruktion eines Militärmanövers in der französischen Provinz zur Zeit der Besatzung betritt die Grauzone subversiver Parodie, die aufgrund ihrer irritierenden Authentizität Gefahr läuft, nicht mehr als solche erkannt zu werden. Die radikalen Posen des als Autor der trügerischen Geschichtsimmersion auftretenden Ich-Erzählers demaskiert die Regisseurin mit subtilem Humor als erbärmliche Mischung aus Selbstmitleid, Pathos und Machismo. "Idealerweise würde die Gegenwart nirgendwo sichtbar werden", heißt es einmal. Wenn dies auch Amerios Ziel war, ist sie mit "Dragooned" erfolgreich; womöglich teils zu ihrem eigenen Nachteil.
Wertung:
Lida Bach
Quelle der Fotos: Berlinale
Artikel empfehlen bei:
Hilfe
|
|