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25.11.1999
Eine anämische Figur zwischen Traum und Realität
Belle de Jour - Schöne des Tages
Ein harmonisches Paar gleitet langsam in einer Kutsche durch einen
herbstlichen Park. Doch der Schein des Glücks trügt: Die Frau weist jede
vorsichtige Zärtlichkeit des Mannes von sich. Plötzlich hält das Gefährt. Auf
Geheiß des Mannes springen ihm die beiden Kutscher bei und helfen
ihm, die Frau aus der Kutsche zu tragen. Sie zerren sie ins Gebüsch,
fesseln sie an einen Baum, reißen ihr die Kleider vom Leib und peitschen
sie aus. Dann vergehen sie sich an ihr. Übergangslos ist im nächsten
Moment eine großbürgerliche Wohnung zu sehen. Die Frau, Séverine, liegt,
in diesen insgeheim masochistischen Traum versunken, auf ihrem Bett,
das durch einen Nachttisch vom dem ihres Mannes Pierre, eines
angesehenen Chirurgen, getrennt ist. Auch wenn die Bilder gebannt
scheinen, die Atmosphäre des Paares in der Kutsche bleibt. Séverine geht
auf keinen der leisen Annäherungsversuche von Pierre ein.
Als Séverine von dem Etablissement der Madame Anais erfährt, in dem sich Huren ihren Kunden verkaufen, versucht sie, sich während der Abwesenheit ihres Mannes am Tage dort fremden Männern hinzugeben. Fortan ist sie Belle de Jour, die Schöne des Tages, die zwischen zwei und fünf am Nachmittag als Edelprostituierte ihren Dienst verrichtet.
Cathérine Deneuve spielt diese Séverine großartig. Eine anämische Figur mit blondem Haar und zerbrechlichen Gliedern. Unnahbar, kühl und unbeweglich, schließlich fragil und frigid - eine Ikone. Gerade diese Erscheinung steht im besonderen Kontrast zu den Komplexen und Lastern unter ihrer Oberfläche. Cathérine Deneuve drehte mit Tristana (Tristana, 1969) einen weiteren Film mit Luis Buñuel. Auch Jean Sorel als Pierre und Michel Piccoli als Bekannter des Paares, ein diabolischer, gesättigter Lebemann, überzeugen in ihren Darstellungen. Belle de Jour ist eine perfekt doppelbödige Inszenierung. Die verschiedenen Ebenen von Traum, Vorstellung und Realität, die sich in der ersten, oben beschriebenen Sequenz des Filmes andeuten, durchdringen den gesamten Film. Durch die wiederholte Verwendung von bestimmten Bildern und Tönen vermischen sich die Ebenen, bis sie nicht mehr zu trennen sind. Am Schluss ist unklar, wer Träumer und was das Geträumte ist. Es bleibt Zweifel, ob Traum oder Wirklichkeit näher an der Wahrheit liegt als das jeweils andere.
Philipp Wallutat /
Wertung:
* * * * * (5 von 5)
Quelle der Fotos (zur Wiederaufführung ab 20. Juli 2017): Studiocanal GmbH Filmdaten Belle de Jour - Schöne des Tages (Belle de Jour) Frankreich / Italien 1967 Regie: Luis Buñuel; Darsteller: Cathérine Deneuve (Séverine Serizy), Jean Sorel (Pierre Serizy), Michel Piccoli (Henri Husson), Geneviève Page (Madame Anais), Pierre Clémenti (Marcel) u.a.; Drehbuch: Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière nach dem Roman von Joseph Kessel; Kamera: Sacha Vierny; Schnitt: Louisette Hautecoeur; Länge: 100 Minuten; FSK: ab 18 Jahren; westdeutscher Kinostart: 15. September 1967; Wiederaufführung ab 20. Juli 2017 Auszeichnungen:
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