21.06.2010
Glückskinder

Babys


Babys: Ponijao mit seiner Mutter Tarererua (Opuwo, Namibia) Für alle Fans von Anne Geddes, die sehnsüchtig das neueste Werk der passionierten Baby-Fotografin erwarten, sind frohe Zeiten angebrochen. In die Bildwelt der erfolgreichen Kanadierin kann man nun auch im Kino eintauchen. Keine Angst, einen Film hat die geschäftstüchtige Dame mit einem Faible für kitschige Babyaufnahmen nicht gedreht. Doch mit seinem Dokumentarfilm "Babys" kommt der französische Regisseur Thomas Balmès der exzessiven Niedlichkeit einer Anne Geddes gefährlich nahe. Vier Kinder auf vier Kontinenten begleitet sein Filmteam von der Geburt bis zu den ersten selbstständigen Schritten in die Welt.

Babys: Bayar (Bayandchadmani, Mongolei) Bildet diese große, weite Welt scheinbar nur den Rahmen für das erste Lebensjahr von "Babys", ist sie tatsächlich das markante Charakteristikum der Reportage. Die "Babys" bewegen sich in ihrem jeweiligen Umfeld wie lebende Accessoires, deren süßes Aussehen den pittoresken Bilderreigen zu einer Reihe von Postkartenmotiven vervollständigt. Postkarten, Kalender und Bildbände mit den Motiven von Geddes zählen seit Jahren zum Standardinventar von Geschenk- und Souvenirläden. Warum mit der gleichen putzigen Ästhetik nicht auch im Kino absahnen, ist da ein naheliegender Gedanke. Balmès' "Babys" sind Anne Geddes nun zuvorgekommen. Der im internationalen Verleih in zahlreiche Schreibweisen des gleichen Wortes variierte französische Originaltitel "Bébés" erinnert wohl nicht zufällig an einen überlangen Werbeclip für Hautpflegemittel. Inhaltlich und inszenatorisch reicht Balmès' Werk kaum über einen solchen hinaus. Mehr als die Bezeichnung Dokumentation wird die eines Bilderbogens den idealisierenden Aufnahmen gerecht. Keine kritische Analyse unterschiedlicher Entwicklungsbedingungen, Zukunftsaussichten und (Über)Lebenschancen ist das Ziel des Regisseurs und Autors. Sein Film erweckt die Illusion einer idealen Welt, in welcher Kinder aller Herren Länder behütet und geliebt aufwachsen.

Babys: Hattie (San Francisco, USA) Die vier Kinder Ponijao aus Namibia, Hattie aus den USA, Mari aus Tokio und Bayar aus der Mongolei bewegen sich in einer Bilderbuchwelt, in der Not, Leid und alles Hässliche ausgeblendet werden. Weder Hunger noch Krieg beflecken die malerische Kulisse Namibias, nicht Arbeitsstress noch Großstadthektik beeinträchtigen die Eltern in Japan und den USA. Entfernung von den kulturellen Wurzeln, Entbehrungen und Armut werfen keinen Schatten auf das Leben in der mongolischen Steppe. Nie wagt der dokumentarische Fokus auch nur einen flüchtigen Blick über den vergoldeten Tellerrand hinaus. Selbst die auch aus elterlicher Perspektive selten angenehm empfundenen Details des Baby-Alltags werden gnadenlos verniedlicht. Pinkeln, Essen wieder aufstoßen, in die Windeln machen und dazu bei Mama Muttermilch-Abpumpen beidseitig in Großaufnahme, all das findet nicht nur die Kamera drollig, sondern auch so manche hingerissen seufzende Zuschauer. Verzückte "Achs" und "Ooohhs" kommentieren auch die Aufnahmen weinender Babys, stürzender Babys und einer Katze, die an einer Schnur um den Hals über den Boden geschleift wird. Richtig ausgeleuchtet ist eben alles "oh, wie süß", führt "Babys" exemplarisch vor – vermutlich auch misshandelte, vernachlässigte oder tot in der Mülltonne liegende Kleinkinder. Von ihnen hört man erschütternd oft in den Medien. Das ist die grausame, tragische Realität unzähliger Kinder auf der Welt, die sich "Babys" zu sehen weigert. Schwamm drüber. Oder einen Anne-Geddes-Kalender.  

Lida Bach / Wertung: * (1 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Kinowelt

 
Filmdaten 
 
Babys (Bébés / Bébé(s)) 
 
Frankreich 2009
Regie & Drehbuch: Thomas Balmès;
Mitwirkende: Ponijao, Hattie, Bayar, Mari, Tarerua, Hindere, Seiko, Fumito, Susie, Frazer, Purev, Mandakh u.a.;
Produktion: Thomas Balmès & Jill Coulon (TBC Productions) Alain Chabat, Amandine Billot & Christine Rouxel (Chez Wam); Kamera: Jérôme Alméras, Frazer Bradshaw, Steeven Petitteville; Musik: Bruno Coulais; Länge: 78 Minuten; FSK: ohne Altersbeschränkung; ein Film im Verleih von Kinowelt; deutscher Kinostart: 19. August 2010



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Zitat

"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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