08.02.2011
Cineastisches Kunstwerk mit Botschaft ohne Folgen

Avatar
- Aufbruch nach Pandora


Hat Kunst eine Aufgabe? Über diese Frage wird schon lange gestritten. Während die einen die Kunst von jeglicher – etwa sozialen – Funktion befreit sehen, ist es für Autoren wie Brecht eben diese soziale Veränderung, die die Kunst zum Ziel haben müsse. Betrachtet man "Avatar – Aufbruch nach Pandora" auf diesem Hintergrund, so erscheint die Diskussion allerdings völlig redundant: Wozu streiten, wenn Kunst de facto kaum Auswirkungen auf die Welt außerhalb der Leinwand hat?

Die Handlung von "Avatar" ist keineswegs originell. Im Gegenteil, der Film wurde sogar dafür kritisiert, die Geschichte von "Der mit dem Wolf tanzt" gestohlen zu haben. In der Tat ist dieser Vorwurf nicht völlig von der Hand zu weisen, denn abgesehen von den Zeitunterschieden (Ende des 19. Jahrhunderts im Kontrast zu einer futuristischen Welt) sind die Ähnlichkeiten enorm. Wie in Kevin Costners Western geht es in "Avatar" um einen Soldaten (Jake), der in eine fremde Kultur (das Volk der "Navi" auf dem Planeten Pandora) entsandt wird und sich mit den Werten dieser Kultur schließlich eher identifiziert als mit seiner Herkunftskultur. Und, natürlich, verliebt sich Jake in eine Frau der Navi (Neytiri).

Warum wurde aber der Film "Avatar" trotz recycelter Handlung so erfolgreich? Ein wesentlicher Unterschied sind die beeindruckenden Special Effects, die "Avatar" zu einem filmgeschichtlichen Meilenstein machen. Als Regisseur James Cameron seine Vorstellungen Technikern gegenüber erstmals in den neunziger Jahren erwähnte, wurde er fast ausgelacht. Statt das Projekt zu begraben oder mittelmäßig durchzuführen, investierten die Produktionsfirmen in die Technik, und über 10 Jahre später war die Technik ausgereift genug. Das Ergebnis sind traumhafte, fantastische Bilder aus einer farbenfrohen Märchenwelt, die mit der grauen Welt der Skypeople (unverkennbar ein Synonym für Amerikaner) kontrastiert. Die Landschaft des Planeten Pandora und Bewegungen der Fantasiegestalten der Navi einschließlich Flugdrachen sind nicht mehr als Computeranimation zu erkennen, was medientheoretisch Anlass geben müsste, an der Wahrhaftigkeit von Bildern zu zweifeln, die etwa in Nachrichtensendungen gezeigt werden, da die Technik eine perfekte Illusion ermöglicht.

Obwohl zwischen "Avatar" und "Der mit dem Wolf tanzt" fast 25 Jahre liegen, hat das zentrale Thema nichts an Aktualität verloren: Es geht um den Umgang mit unserem Planeten. Während früher Büffel nahezu ausgerottet und Berge auf der Suche nach Gold abgeschlagen wurden, hat sich die Ausbeutung der Erde bis heute weiter verschärft, sodass sich selbst das Klima verändert.

" Avatar" kam in einer Zeit in die Kinos, als Amerika auf einem neuen Weg schien. Erst wenige Monate zuvor, im Januar 2009, war Barack Obama als erster US-Präsident mit dunkler Hautfarbe vereidigt worden. Themen wie Umweltschutz rückten ins Bewusstsein, auch in Amerika. Darauf schien auch der Erfolg von "Avatar" zu deuten: So schnell wie kein anderer Film überwand der Film die Milliardengrenze und hat inzwischen über zwei Milliarden Dollar eingespielt.

Bei dieser Popularität wäre eigentlich ein perlokutionärer Erfolg zu erwarten, ein Wandel im Umgang mit unseren Ressourcen. Doch was hat sich wirklich geändert? In China, der mächtigsten Wirtschaftsnation, fiel die Kritik nicht gerade auf fruchtbaren Boden, sondern eher in einen politischen Stausee, sodass sogar eine Zensur erwogen wurde.

Die USA werden in Avatar ebenfalls implizit, aber eindeutig kritisiert. Schlüsselkonzepte wie der American Dream oder das Manifest Destiny werden als pervertiert dargestellt: Sozialer Fortschritt und das Teilen des (materiellen) Erfolges mit anderen, wesentliche Bestandteile des American Dream, werden in der Heimat der Skypeople nicht mehr als realisierbar und wünschenswert angesehen. Der American Dream ist dennoch möglich, aber nicht mehr in Amerika. Stattdessen muss man schon auf andere Planeten reisen und ein Umdenken erreichen. Rund ein Jahr nach dem Film und fast zwei Jahre nach Beginn der Präsidentschaft Obamas gibt es kaum Anzeichen, dass der Film irgendeine Auswirkung auf die Realität (gehabt) hätte. Obama ist als Präsident geschwächt, die Bevölkerung denkt eher an ihre persönliche, materielle Zukunft, die durch die Finanzkrise in Frage steht.

Diese Unsicherheit hätte auch ein Anlass sein können, über grundsätzliche Werte nachzudenken und einen neuen Ansatz optimistisch zu verfolgen, denn auch Optimismus und Innovativität sind Elemente des American Dream. In der Tat ist von beidem nichts zu spüren. "Avatar" ist ein Film, der diese Doktrin regelrecht einhämmert, so dass die Botschaft völlig unmissverständlich ist. Dennoch konnte "Avatar" die Realität nicht verändern.

Wenn selbst der erfolgreichste Film aller Zeiten, der so viele Menschen erreicht und eine Botschaft sendet, die klar und leicht verständlich ist, nichts verändert, legt dies in der Diskussion, ob Kunst überhaupt eine gesellschaftliche Funktion habe, eine klare Antwort nahe.  

Tobias Vetter / Wertung: * * * * (4 von 5) 
 

 

 
Filmdaten 
 
Avatar - Aufbruch nach Pandora (Avatar) 
 
USA / GB 2009
Regie & Drehbuch: James Cameron;
Darsteller: Sam Worthington (Jake Sully), Zoë Saldana (Neytiri), Sigourney Weaver (Dr. Grace Augustine), Stephen Lang (Colonel Miles Quaritch), Michelle Rodriguez (Trudy Chacon), Giovanni Ribisi (Parker Selfridge), Joel David Moore (Norm Spellman), CCH Pounder (Moat), Wes Studi (Eytukan), Laz Alonso (Tsu'tey), Dileep Rao (Dr. Max Patel), Matt Gerald (Corporal Lyle Wainfleet), Sean Anthony Moran (Private Fike) u.a.;
Produzenten: James Cameron, Jon Landau; Co-Produzenten: Brooke Breton, Josh McLaglen; Ausführende Produzenten: Laeta Kalogridis, Janace Tashjian, Colin Wilson; Kamera: Mauro Fiore; Musik: James Horner; Schnitt: James Cameron, John Refoua, Stephen Rivkin;

Länge: 161 Minuten (Fassung 17.12.2009) oder 164 Minuten (längere Fassung) oder 171:13 Minuten (längere Fassung); FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Twentieth Century Fox; deutscher Kinostart: 17. Dezember 2009

Auszeichnungen:
Academy Award (Oscar) 2010:
Art Direction, Beste Kamera, optische Effekte; nominiert in sechs weiteren Kategorien, darunter Bester Film des Jahres;
Golden Globes 2010:
Bester Film des Jahres in der Kategorie Drama, Bester Regisseur
zwei weitere Nominierungen

zahlreiche weitere Auszeichnungen



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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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