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19.10.2009
Antichrist
Wie er selbst bei jeder sich bietenden Gelegenheit kundtut, will Lars von Trier "provozieren". Das ist eigentlich ein Kritikerwort. Hier benutzt es ein Regisseur selbst, um sein filmisches Schaffen zu charakterisieren. Doch was meint der Mann damit? Redet ein Filmkritiker von einem "provokativen Film", bedeutet das meistens nicht viel mehr als die hektische Aufregung, die der Film beim Publikum auslöst. So hat man bei der Premiere von "Antichrist" in Cannes einzelne Zuschauer sich übergeben oder empört den Saal verlassen sehen, andere – vorwiegend Frauen – fielen bei einigen speziellen Szenen in Ohnmacht. Prompt hieß es, die Welt sei soeben Zeuge von Triers bisher provokantestem Film geworden. Woran liegt es, dass "Antichrist" vielleicht auf Amerikas Index landen wird? Natürlich an seinem provokativen Inhalt!Und für wen hat Trier einer Interview-Aussage bei "SPIEGEL-Online Kultur" vom 31.08.09 zufolge den Film gedreht? Frage: "Muten Sie den Zuschauern nicht etwas viel zu? – Ach, ich habe den Film für ein Publikum wie mich gemacht, und ich persönlich werde ja ganz gern ein bisschen provoziert. Als ich 'Antichrist' geschrieben habe, hatte ich eine schwere Depression, und irgendwo in meinem kranken Kopf existierten ebendiese Bilder. Damit müssen sich die Zuschauer abfinden." [1] Erschöpft sich also für Herrn von Trier Provokation darin, die eigenen Depressionen dem Publikum zuzumuten?
Worum geht es hier? Um das Scheitern psychologisch angeleiteter Trauerarbeit? Um die ausbrechende posttraumatische Psychose einer labilen Frau, der das akademische Thema des mittelalterlichen Gynozids – die Massenermordung von Frauen – zu Kopf gestiegen ist? Um den Widerspruch zwischen historischem Volksaberglauben und moderner Wissenschaft? Um tödliche Liebe, in der die Liebenden nur die Wahl haben zwischen Töten oder Getötetwerden? Oder vielleicht doch nur um die Inszenierung von "Bildern" die dem Herrn von Trier - vielleicht auf einem seiner schamanistischen Trips - eingefallen sind? Hier hilft zum Einstieg in diese Fragen der Titel des Films ein wenig weiter. "Antichrist", der Satan mit dem Pferdefuß, durchwirkt als dämonischer Bilder- und Wortzitathaufen den ganzen Film: Man glaubt schon im hinterhältigen Grinsen des kleinen Jungen etwas Teuflisches zu erkennen, kurz bevor er wie ein fallender Engel abstürzt. Dann, im Wald, erscheinen ihm, dem sonst so nüchtern fühlenden und rational handelnden Psychologen, seltsame Tiere. "Die drei Bettler" – ein eine Totgeburt kalbendes Reh, einen sich selbst auffressenden Fuchs und einen untoten, im Erdreich wohnenden Raben – symbolisieren wie die wuchernde Waldflora die animalisch aufgefasste Natur als zerstörende und lebensvernichtende Umwelt alles Beseelten. Selbst die schweren Wanderstiefel, die dem vor Schmerzen wimmernden Kind von seiner Mutter in einer Rückblende in "Eden" seitenverkehrt angezogen werden, wirken im Nachhinein wie eine Allegorie auf das Pferdefüßige. Die entarteten Tiere, kahle Baumgerippe, eine unnatürliche Waldesstille und diffuses Licht tun ein Übriges. All diese dämonischen Sinnbilder und horroresken Folterpraktiken zeigt von Trier (vielmehr sein Oscar-prämierter Kameramann Anthony Dod Mantle - denn von Trier war nach eigener Auskunft während der Dreharbeiten aus Gründen akuter depressiver Niedergeschlagenheit nicht in der Lage, selbst die Kamera zu führen) mit grandios stimmigen Naturaufnahmen und herrlichen Landschaftsbildern. So kontrastiert über weite Strecken nicht "das Gute" das angeblich "Böse der Natur", sondern ihre abgründige Schönheit – also die Ästhetik des ganzen Films selbst.
Doch selbst wenn Lars von Trier Interpretationen wie diese im Sinn gehabt haben sollte, sein Film macht sie nicht explizit genug. Ständig fährt er seinem eigenen Film mit irreleitenden Phantasiefiguren, plattesten Dialogen zwischen den Ehepartnern, mit in ihrer maßlosen Brutalität abstumpfenden Gewaltszenen und permanenten ästhetischen Selbstverweisen in die Beine. Dass Menschen durch den bloßen Aufenthalt in unkultivierter Natur aneinander zu Tieren werden, ist eine nicht sehr weit reichende Idee, die in B- oder C-Splattermovies gut genug aufgehoben wäre, sowohl dem künstlerischen Renommee als auch dem cineastischen Anspruch eines Lars von Trier aber kaum genügen dürfte. So wabert der Film zwischen laienpsychologischem Jargon und dürftiger Persönlichkeitszeichnung der beiden Protagonisten, zwischen biblischen, mythologischen und psychotischen Wahnvorstellungen, zwischen Sex and Crime, Porno und Psycho, Traum und Trauma hin und her, ohne dass er dem Zuschauer über die ästhetische Vorführung hinaus einen Ausweg aus diesem wildwachsenden Motiv-Potpourri zeigte.
So ergeht es einem Zuschauer von "Antichrist": Er mag sich übergeben, eine Filmkritik schreiben oder bis ans Ende seiner Tage dem Film nachgrübeln, niemals wird ihn das Filmerlebnis in die Lage versetzen, das inszenierte Kunstprinzip mit den dargestellten menschlichen Schicksalen zur Deckung zu bringen. "Antichrist" darf als gescheitertes Humanprojekt gelten. So kann man vielleicht Depressionen bekämpfen, aber die Menschen weder weiser, noch humaner machen. Online-Quellenverweise (Stand: 15.10.2009): [1] http://www.spiegel.de/kultur/kino/0,1518,647490,00.html#ref=rss Frederik Schlenk /
Wertung: * *
(2 von 5)
Quelle der Fotos: MFA+ (Filmplakat und zweites Foto) / Christian Geisnaes (erstes Foto (Ausschnitt) und viertes Foto) Filmdaten Antichrist (Antichrist) Dänemark / Deutschland / Frankreich / Schweden / Italien / Polen 2009 Regie & Drehbuch: Lars von Trier; Darsteller: Willem Dafoe, Charlotte Gainsbourg; Produktion: Zentropa Entertainments; Kamera: Anthony Dod Mantle; Länge: 104 Minuten; FSK: keine Jugendfreigabe, also nicht unter 18 Jahren; ein Film im Verleih von MFA+; deutscher Kinostart: 10. September 2009
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