17.01.2012
Anonymus
![]() Es geht in Emmerichs Film um den "wahren" Autor der Shakespeare-Werke – den Grafen von Oxford. Shakespeare selbst ist nur ein kleiner Schauspieler, Trunkenbold, Weiberheld und Erpresser – reuelos sackt er das Geld des Grafen und dessen Ruhm ein. Der Graf zeugt mit der Königin einen Sohn und darf weder diesem noch seinem literarischen Werk seinen Namen geben. Zahlreiche Nebenhandlungen – Liebschaften des Grafen, das politische Machtspiel am Hofe und nicht zuletzt das elisabethanische Theater, wie auch fünf verschiedene Zeitebenen spicken den Hauptstrang der Handlung. Der Film ist ein optischer Genuss, farbenprächtig bei Kostümen der Reichen oder nötigerweise auch farblos-armselig bei den Ärmeren, detailliert liebevoll genau bei der Architektur und der zeitgenössischen Ausstattung – man achte auf die Nahaufnahmen von Pergament und Feder, auf die Eule im Arbeitszimmer, die tintenverschmierten Finger der Schreiber oder das schlechte Gebiss der alternden Königin –, jedoch verwickelt die Handlung den Zuschauer in verschiedene Zeitebenen und ist so atemlos, dass selbst das Vergnügen der Bilder erst nach Verlassen des Filmsaals in der Erinnerung daran wirken kann.
Rhys Ifans spielt Edward de Vere, 17. Grafen von Oxford, Bühnenautor, Dichter und Kunstmäzen im elisabethanischen Zeitalter, den vermeintlich richtigen Autoren der Shakespeare-Werke, die seit Mitte des 16. Jahrhunderts nichts an Aktualität und Beliebtheit eingebüßt haben. Sensibel und überzeugend dargestellt ist der Kunstliebende der englischen Renaissance in dieser Verschwörungsfassung auch Liebhaber der Königin Elizabeth. Letztere ist gespielt von der immer mächtig im Bild präsenten Vanessa Redgrave, die keine Zurückhaltung kennt, auch wenn sie mal halbnackt, ohne Schminke und Perücke zu sehen ist.
Sehenswert ist der überlange Film allemal, ein zweites Hinschauen wird sich lohnen, wenn der Film auf DVD erscheint, damit man die Handlung in ihrer Ganzheit, aber auch die Details erfassen kann. Literarisch und filmtechnisch kostbar umgesetzt sind Ausschnitte aus den dargestellten Bühnenstücken – wie der Tanz um das Feuer der drei Hexen aus "Macbeth" oder das Erstechen des Polonius aus "Hamlet". Atmosphärisch kann der Film ins 16. Jahrhundert versetzen, ohne Frage. Ein tiefgehend emotionales Erlebnis kann er jedoch wegen der Handlungsintensität leider nicht sein – schade, weil die Emotionen und die traurige Liebesgeschichte mehr Raum verdient hätten, nicht zuletzt im Herzen des Zuschauers. Hilde Ottschofski /
Wertung: * * * *
(4 von 5)
Quelle der Fotos: Sony Pictures Filmdaten Anonymus (Anonymous) USA / Deutschland 2011 Regie: Roland Emmerich; Darsteller: Rhys Ifans (Earl of Oxford), Rafe Spall (William Shakespeare), Vanessa Redgrave (Queen Elizabeth I), Joely Richardson (junge Queen Elizabeth I), David Thewlis (William Cecil), Xavier Samuel (Earl of Southampton), Sebastian Armesto (Ben Jonson), Sam Reid (Earl of Essex), Edward Hogg (Robert Cecil), Jamie Campbell Bower (junger Earl of Oxford), Jonas Hämmerle (Kind Oberon) u.a.; Drehbuch: John Orloff; Produktion: Roland Emmerich, Larry J. Franco, Robert Leger; Kamera: Anna Foerster; Musik: Harald Kloser, Thomas Wander; Länge: 129,40 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih der Sony Pictures Releasing GmbH; deutscher Kinostart: 10. November 2011 |
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