30.10.2013
Annelie (2013)
![]() Antej Farac hat mit seinem Film "Annelie" einen schwungvollen und lauten, bisweilen auch nachdenklichen Hybrid aus Dokumentation und Fiktion geschaffen. Er lässt darin jene Misfits, Outcasts, zu Wort kommen und zur Tat schreiten, für die eine neoliberale Gesellschaftsordnung samt und sonders eher wenig Sympathie aufbringen kann. Und vice verca. Die Annelie, die früher eine Pension im Münchner Hauptbahnhofsviertel war – also jenem Bezirk, der sich durch halbseidene Existenzen, Junkies, Dealer und viel grellem Rotlicht charakterisieren lässt – ist umfunktioniert worden, zu einer Art Wohnheim für Sozialfälle.
Max, gespielt vom wunderbaren Österreicher Georg Friedrich, ebenso ein Mitbewohner – Junkie und desillusioniert ob seiner abgebrochenen Schauspielerkarriere –, ist der einzige Charakter, der von einem professionellen Schauspieler übernommen worden war. Friedrich, mit seinem unverwechselbaren Wiener Schmäh und seinem hinreißenden Sing Sang, der mit Haneke, Seidl, Glawogger, Svoboda, Murnberger – um nur eine Auswahl renommierter Regisseure zu nennen – erfolgreich zusammengearbeitet hat, ist dieser Rolle vollends gewachsen. Sein authentisches Spiel, sein nihilistischer und doch engagierter Gestus, sein Habitus eine Mixtur aus Larmoyanz und Lässigkeit, lassen kaum erkennen, dass er nicht realer Bewohner der Annelie ist. Seine Disziplin am Set soll sogar die anderen Figuren angeregt haben, sich für den Dreh Mühe zu geben, und konstruktiv mitzuwirken.
Manche Überdrehtheiten am Ende etwa, wenn eine Band von den Bewohnern entführt wird, und wenn der Schluss wie eine Traumfantasie daherkommt, sind ein harter Bruch zum manchmal schmerzenden Realismus. Die große Stärke und das eigentlich Erfrischende des Films liegt unbestritten in der Tatsache, dass man hier in Lebensentwürfe sieht, die sich weitab von einer Mainstreamgesellschaft bewegen, die die dauernde Anerkennung und den materiellen Wohlstand bedingungslos feiert und als das Nonplusultra ansieht. Sicherlich, um Missverständnissen vorzubeugen: Eine Drogenkarriere und ein Leben unter diesen Umständen ist nicht erstrebenswert, aber die Kunst und der Film widmen sich bestenfalls den vielen verschiedenen Facetten des Lebens, und die Annelie war eine davon. Sven Weidner /
Wertung: * * * *
(4 von 5)
Quelle der Fotos: alpha medienkontor (Film-Homepage) Filmdaten Annelie (2013) Schweiz / Deutschland 2013 Regie & Drehbuch: Antej Farac; Darsteller: Georg Friedrich (Max), Günter Reupert-Hasselmeier, Franz Rudolf, Kim Harbusch, Irene Fritschi u.a.; Produzent: Johann Betz; Produktion: Drei Wünsche GmbH in Koproduktion mit der Schweizer Agentur elPatrol.; Kamera: Chris Valentien; Musik: Tito Lee; Schnitt: Antej Farac; Länge: 111 Minuten; ein Film im Verleih von alpha medienkontor; deutscher Kinostart: 12. Dezember 2013
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