März 2002

Kein gewöhnliches Genie


Amadeus


Er schrieb: "scheißen Sie ins Bett, daß es kracht; schlafen S'gesund, recken S'den Arsch zum Mund" und in solcher Vielzahl Musik, die ihresgleichen nicht findet, dass, so Dirigent Justus Frantz, ein tarifliches Arbeitsleben nicht ausreiche, sie auch nur abzuschreiben. Sein Vater nannte ihn Johannes Chrysostomus Wolfgang Gottlieb, er selbst unterschrieb gern mit "Ritter vom Sauschwanz" oder "Freund des Zahlhauses". Die Nachwelt nannte ihn Wolfgang Amadeus Mozart.


Filmplakat Amadeus In den Konversationsbüchern des tauben Beethoven, die glücklicherweise erhalten sind und so einen unschätzbaren Fundus des täglichen Klatsch und Tratsch liefern, notierte 1824, mehr als dreißig Jahre nach Mozarts frühem Tod, Kapellmeister Schindler: "Mit Salieri geht es wieder sehr schlecht. Er ist ganz zerrüttet. Er phantasiert stark, daß er an dem Tode Mozarts Schuld sey und ihn mit Gift vergeben habe. Das ist die Wahrheit, denn er will dieß als solche beichten." Obwohl dieses Gerücht von einem, offenbar verwirrten, Antonio Salieri - der seinerzeit einer der berühmtesten Komponisten Europas war, heute jedoch nahezu in Vergessenheit geraten ist - selbst in die Welt gesetzt wurde, wird es von Seiten der Wissenschaft mehr als nur stark angezweifelt und von einer natürlichen Todesursache ausgegangen. Dennoch, verlockend scheint es schon, dem neidischen Nebenbuhler einen Mord an dem für ihn, und alle, unerreichbaren Genie anzulasten, so reizte diese Thematik Bassi zu einem Gedicht, Puschkin zu einem Bühnenfragment, Rimsky-Korsakoff zu einer Oper - und Peter Shaffer zu einem Theaterstück, auf dem letztendlich Milos Formans, mit acht Oscars ausgezeichneten, Verfilmung "Amadeus" (1984) beruht, frei nach dem Motto: Ist es auch nicht die Wahrheit, ist es immerhin schön erfunden.

Es habe keine Zeit gegeben, so der greise Salieri (F. Murray Abraham) zu seinem Beichtvater, in der ihm nicht der Name Mozarts allgegenwärtig gewesen sei. Er selbst, aus ärmlichen, kleinbürgerlichen Verhältnissen stammend, für den die Musik einziger Lebensinhalt sei, habe es mit harter Arbeit und Verzicht bis an die Stelle des Kompositeurs am Hof des Kaisers Joseph II. in Wien gebracht, beseelt von dem Gedanken, durch seine Musik unsterblich zu werden, aus Dank dafür sein Talent, seine Mühe, sein Leben Gott zu widmen. Doch diesem Mozart scheine alles zuzufliegen, wie von Gott diktiert, und während er ihm, Salieri, nur das brennende Verlangen nach Musik gegeben, ihn aber nicht mit dem nämlichen Talent gesegnet habe, aber, um ihn zu demütigen, eine "kindische, obszöne Kreatur", trete er zu einem offenen Kampf gegen Gott an, mit dem Ziel, dessen eigenes, geliebtes Geschöpf zu vernichten.

Amadeus: Tom Hulce als Mozart "Dieser Mann hatte sein erstes Menuett im Alter von vier Jahren komponiert, seine erste Symphonie mit sieben, und eine abendfüllende Oper mit zwölf. War ihm das anzusehen?", fragte sich Salieri vor seiner ersten Begegnung. Nun, er dürfte ebenso enttäuscht gewesen sein, wie der Zuschauer überrascht, denn dieses Mozart-Bild, interpretiert durch Tom Hulce, entspricht nicht der verklärend romantischen Vorstellung eines erhabenen, vergeistigten Genies, sondern stellt Mozart - wie es auch seine Korrespondenzen, allen voran die sogenannten "Bäsle-Briefe", nahe legen - als lebenslustigen, dem Genuss nicht abgeneigten, mal kindisch-albernen, mal anzüglich-ordinären Bonvivant dar. Das soll, so fragt man sich mit Salieri, der Zauberflöten-Kleine-Nachtmusik-ach-wie-schön-Mozart sein? Er ist's: "Ich ... gib mich schuldig, daß ich vorgestern und gestern (auch schon öfters) erst bei der Nacht um 12 Uhr nach Hause gekommen bin; und daß ich von 10 Uhr an bis zur benennten Stund beim Canabich, in Gegenwart un en Compagnie des Canabich, seiner Gemahlin und Tochter, Herrn Schatzmeister, Ramm, und Lang, oft und - nicht schwer, sondern ganz leichtweg gereimet habe; und zwar lauter Sauereien, nämlich, vom Dreck, Scheißen und Arschlecken, und zwar in Gedanken, Worten und - - - aber nicht mit Werken." Und in dieser gegen das stereotype Klischee des sprichwörtlich "Mozärtlichen" gerichteten Darstellung Formans liegt eine der offensichtlichsten Stärken von "Amadeus". Glänzend auch, die herben Widersprüche von Bild und, von Sir Neville Marriner eingespielter, Musik. Nicht erst im musikalisch und dramaturgischen Höhepunkt, bei der gleichzeitigen Arbeit an "Die Zauberflöte" und dem "Requiem" in seinem letzten Lebensjahr, fasziniert und begeistert der Einsatz der Musik, Alltagssituationen konterkarierend oder plötzliche Stimmungswechsel ausdrückend. Die Protagonisten werden durch ihre Musik charakterisiert, etwa, wenn Salieri in der Nervenheilanstalt am Klavier sitzt, sein Spiel aber nicht zu Ende bringt, sondern mit dem Erreichen des Leittons abbricht, jenem Ton also, der nach der Musiklehre zwangsläufig zu einem anderen strebt. Da er diesen nicht erreicht, wird seine Unzulänglichkeit, aber auch seine fast greifbare Anspannung deutlich. Wie ein Leitmotiv durchzieht dann auch den Film die Musik des "Don Giovanni" bei der, so Salieri, ihn der Wahnsinn ergriffen, er aber auch, eine vielleicht etwas gewagte Interpretation, die Möglichkeit zur Vernichtung Mozarts gefunden habe: Mozart soll in dieser Oper über den Frauenhelden Don Juan, der letztlich durch den Geist des von ihm ermordeten Komturs zur Rechenschaft gezogen wird, seine eigenen Schuldgefühle und seinen Konflikt mit Vater Leopold verarbeitet haben. Dieses schlechte Gewissen, das ihn bedrückt wie die immer wiederkehrenden, lastenden ersten Takte der Ouvertüre, will er ausnutzen, um Mozart in den Tod zu treiben. Bei aller Brillanz, bei aller Perfektion der Musik-Einspielung, bleibt jedoch der Wermutstropfen, dass ausdrücklich deutsche Libretti ins Englische übersetzt wurden. Ironischerweise sogar bei "Die Entführung aus dem Serail", obwohl Mozarts Einsatz für die deutsche Sprache in der damals italienisch dominierten Oper thematisiert wird.

Amadeus

"Antonio" müsste der Film heißen, nicht "Amadeus", denn die eigentliche Hauptfigur ist Salieri. Es findet aber ein Perspektivwechsel statt, der sowohl den einen, als auch den anderen Titel legitimierte: Ist die erste Hälfte ausschließlich aus Salieris Sicht erzählt, so verlagert es sich gegen Ende mehr und mehr zu der Mozarts. Allerdings wird dabei leicht übersehen, dass es nur der Mozart ist, den Salieri sich vorstellt. Zieht man daher seinen Geistes-Zustand in Betracht, denn er ging ja wirklich davon aus, Mozart umgebracht zu haben, so erklären sich die fast abstrus anmutenden Begebenheiten der zweiten Filmhälfte, nachdem zu Beginn das historisch Korrekte angestrebt wurde.

Deshalb wird auch verständlich, warum dargestellt wird, als habe Salieri zusammen mit Mozart das "Requiem" vollendet, obwohl man inzwischen weiß, dass die Noten, die nicht von Mozart selbst stammen, von seinem Schüler Süßmayr herrühren: Es war Salieris brennendster Wunsch, wenigstens einen Teil des von ihm vergötterten und verhassten Idols zu erhaschen. Dieser Wunsch war so fest in ihm verwurzelt, dass er es schließlich selber glaubte, ebenso wie er der Überzeugung war, er sei jener mysteriöse "Schwarze Bote" gewesen, der den Auftrag für das "Requiem" gegeben habe, und nicht irgendein Graf Franz Walsegg zu Stuppach, wie man heute annimmt.

"Amadeus" muss der Film dann doch heißen, denn er ist eine Liebeserklärung an diesen unvorstellbar kreativen Geist, dessen Werke die Jahrhunderte überstrahlte, so dass nun nahezu jedes Kind seine berühmtesten Melodien nachsummen könnte. Auch damit spielt der Film, ist doch besagtes KV 525 in G-Dur das einzige, was der Beichtvater erkennt, während ihm die Melodien des noch lebenden Salieri, dessen Ruhm schon weit vor seinem Tod verblasste, der Mozarts aber erst danach ansetzte, allesamt nicht geläufig sind. Heimlich wird der Zuschauer in die Rolle des Salieri gedrängt. Wie dieser ist er nur imstande, die Größe dieser Musik zu begreifen, aber nicht in der Lage, sie zu komponieren. Zu dieser Ansicht gelangt Salieri bei seiner Ansprache an die Insassen der Anstalt (oder spricht er mit dem Publikum?), wenn er sich als "Schutzpatron der Mittelmäßigen" bezeichnet. Es ist daher nur zu begrüßen, dass diese Hommage an einen Menschen, der so fern von jeder Mittelmäßigkeit ist wie kaum ein zweiter, wieder in die Kinos gelangte. Dass als Alibi hierfür der sogenannte "Director's Cut" herhalten muss, bei dem mehr oder weniger wichtige Szenen addiert werden, die einen stimmigen und runden Film bestenfalls nicht stören, mag man verzeihen, zumal die neu geschnittenen Sequenzen hier dankenswerterweise ihr Hauptaugenmerk auf die Musik richten.

 
Stefan Strucken / Wertung: * * * * * (5 von 5)

Quelle der Fotos: Warner Bros.


Filmdaten

Amadeus
(Amadeus)

Alternativtitel: Peter Shaffer's Amadeus
USA 1984 (Director's Cut: 2001)
Regie: Milos Forman;
Darsteller: F. Murray Abraham (Antonio Salieri), Tom Hulce (Wolfgang Amadeus Mozart), Elizabeth Berridge (Constanze Mozart), Simon Callow (Emanuel Schikaneder), Roy Dotrice (Leopold Mozart), Christine Ebersole (Katerina Kavalieri), Jeffrey Jones (Joseph II.), Charles Kay (Graf Orsini-Rosenberg), Roderick Cook (Graf von Strack), Milan Demjanenko (Karl Mozart), Peter Digesu (Francesco Salieri), Patrick Hines (Kapellmeister Bonno), Nicholas Kepros (Erzbischof Coloredo), Herman Meckler (Priester), Philip Lenkowsky (Salieris Diener), Jonathan Moore (Baron van Swieten), Cynthia Nixon (Lori), John Strauss (Dirigent), Kenny Baker, Vincent Schiavelli u.a.; Drehbuch: Peter Shaffer nach seinem gleichnamigen Bühnenstück, Nena Danevic, Michael Chandler; Kamera: Miroslav Ondricek; Musik-Koordination: John Strauss; Produktionsdesign: Patricia von Brandenstein; Choreographie und Oper-Inszenierung: Twyla Tharp, Kostüme: Theodor Pistek; Bühnen-Design: Josef Svoboda; Produzent: Saul Zaentz; Ausführende Produzenten: Michael Hausman, Bertil Ohlsson; Orchester: Academy Of St. Martin In The Fields unter der Leitung von Sir Neville Marriner; Chöre: Academy Chorus Of St. Martin In The Fields unter der Leitung von Laszlo Heltay, Ambrosian Opera Chorus unter der Leitung von John McCarthy, The Choristers Of Westminster Abbey unter der Leitung von Simon Preston;

Länge: 153 Minuten (Director's Cut: 171 Minuten); FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Warner Bros.




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"Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch..."

Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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