29.07.2015
Vom Schicksal und verpassten Chancen

Am grünen Rand der Welt


Am grünen Rand der Welt: Filmplakat Als Thomas Vinterberg vor zwanzig Jahren "Das Fest" und damit den ersten dogma95-Film präsentierte, ahnte er wohl nicht, dass er mal klassische englische Literatur des 19. Jahrhunderts nach ganz herkömmlichen Standards verfilmen würde. "Far from the Madding Crowd" ist der Titel des verfilmten Romans von Thomas Hardy von 1874 und auch der Originaltitel des Streifens. Leider ist von der erhofften gnadenlosen Direktheit des dogma-Regisseurs bei der Bearbeitung des ebenfalls unbarmherzigen Stoffes von Hardy nichts zu spüren – die Kanten sind geglättet, der Film wirkt seicht. Die zweifellos atemberaubenden Naturaufnahmen und der Versuch, eine unabhängige und selbständig denkende Frau in den Mittelpunkt zu stellen, sprechen für den Film. Das versteckte Potenzial des Regisseurs und des Stoffes bleiben leider dennoch in der Versenkung.

Hardys Charaktere sind durch ihren tragischen Lebenswandel und ihr oft gescheitertes Streben nach Glück eine Herausforderung für Leser und Betrachter. Den Existenzialismus des 20. Jahrhunderts vorwegnehmend zweifelte Hardy am religiös vermittelten Bild Gottes, ohne aber aufzuhören, ein Leben lang nach ihm zu suchen. Seine Figuren unterliegen einem grausamen Schicksal, sind Opfer eines gleichgültigen Gottes, sie können durch nichts als ihre eigene Tugend und Reinheit oder durch die erlösende Kraft echter Liebe ihrem Schicksal entgehen – aber oft nicht mal dadurch.

Am grünen Rand der Welt: Carey Mulligan, Matthias Schoenaerts In dieser Geschichte ist es Bathsheba (deren biblische Namensgeberin auch eine von Männern Umworbene), die von drei Männern hofiert wird, die sie zu früh, zu überrumpelnd oder zu ungelenk um ihre Hand bitten. Natürlich ist es keine leichte Aufgabe für die Schauspielerin Carey Mulligan in die Fußstapfen von Julie Christie zu treten, die in der 1967er Verfilmung des Romans eine ausgesprochen emotionale, widersprüchliche aber dadurch nachvollziehbare Bathsheba abgab. Hier haben wir es mit einer modern wirkenden, mit sich selbst ganz zufriedenen Bathsheba zu tun, die aber unsicher ist und nicht weiß, was sie will. Sie wirkt oft teilnahmslos und scheint keine Emotionen zu besitzen. Ob es nun eine Fehlbesetzung oder ein Fehler im Drehbuch ist, das kann man so eindeutig nicht beurteilen – möglicherweise aber beides.

Das Schicksal schlägt natürlich auch hier zu – einer verliert sein Hab und Gut, eine andere erbt welches, die Leidenschaft kommt des Weges, und sie geht auch wieder, der Tod zeigt sich. Wie Marionetten auf einem Schachbrett wirken Hardys Charaktere – aber in dieser Härte zeigt der Film das Geschehen leider nicht auf. Die tragischste aller Figuren, Fanny Robin, erhält auf unerklärliche Weise die wenigste Beachtung im Film.

Schäfer Gabriel Oak wird von dem hervorragend besetzten Matthias Schoenaerts gespielt, der mit Zurückhaltung und unaufdringlicher Präsenz den ganzen Film trägt und in Harmonie mit den Naturaufnahmen steht. Michael Sheen interpretiert den liebeskranken Boldwood sehr gut, die Figur des Leutnants Troy (Tom Sturridge) ist leider völlig missraten. Die gemeinsamen Szenen von Bathsheba und Troy stellen nicht dar, dass sich da die Falle der Leidenschaft und der gegenseitigen schicksalhaften Abhängigkeit auftut – ein offensichtlicher Fehler.

Die Verfilmung zeigt, dass sich die Produzenten nach "Tatort"-Manier Regisseure suchen, die sich einem bestimmten Format unterordnen, was aber in Vinterbergs Fall keine gute Idee war. Seine Kreativität und eine neue Annäherung an den Stoff hätten dem Film gut getan, weil die Kombination stimmig ist. Zwar ist der handwerklich solide Film sehenswert, er bleibt aber dennoch eine verpasste Chance.  

Hilde Ottschofski / Wertung: * * * (3 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Twentieth Century Fox

 
Filmdaten 
 
Am grünen Rand der Welt (Far from the Madding Crowd (2015)) 
 
GB / USA 2015
Regie: Thomas Vinterberg;
Darsteller: Carey Mulligan (Bathsheba Everdene), Matthias Schoenaerts (Gabriel Oak), Michael Sheen (William Boldwood), Tilly Vosburgh (Mrs. Hurst), Sam Phillips (Sergeant Doggett), Tom Sturridge (Sergeant Francis Troy), Juno Temple (Fanny Robbin), Bradley Hall (Joseph Poorgrass), Hilton McRae (Jacob Smallbury), Jessica Barden (Liddy), Harry Peacock (Jan Coggan), Victor McGuire (Bailiff Pennyways) u.a.;
Drehbuch: David Nicholls nach dem Roman von Thomas Hardy (1840 - 1928); Produzenten: Andrew Macdonald, Allon Reich; Kamera: Charlotte Bruus Christensen; Musik: Craig Armstrong; Schnitt: Claire Simpson;

Länge: 119,12 Minuten; FSK: ab 6 Jahren; ein Film im Verleih der Twentieth Century Fox of Germany GmbH; deutscher Kinostart: 16. Juli 2015



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Zitat

"Sie ist unermüdlich in ihrer Suche nach Perfektion. Sie arbeitet so lange an einer Figur, bis sie sie richtig erfasst hat."

Regisseur Anthony Page über die verstorbene Schauspielerin Maggie Smith (28. Dezember 1934 - 27. September 2024)

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