19.11.2010
Alles, was wir geben mussten
![]() Die Kühle des englischen Klimas wäscht alle Farben aus der Szenerie, das Wissen um ihr Schicksal die Freude aus dem Dasein der zu jungen Erwachsenen reifenden Kinder. Gespenstische Momentaufnahmen fangen die Relikte einer Kinderzeit ein, die tatsächlich das quälende Vorbereitungsritual einer Opferung ist. Das Drehbuch zu "Never Let Me Go" verfasste Alex Garland, dessen Roman "The Beach" in drastischen Szenen ein trügerisches Paradies dekonstruierte. In elegischen Bildern inszeniert Mark Romanek ein stilles poetisches Horrormärchen, dessen Schrecken von einem unsichtbaren Monstrum ausgeht: der Gesellschaft, der die geklonten Kinder in Hailsham als humane Organlieferanten dienen. Das Wissen um diesen Hintergrund nimmt dem bedrückenden Drama nichts von seiner geisterhaften Eindringlichkeit. Romaneks Verfilmung von Kazuo Ishiguros Roman "Never Let Me Go" ist kein Thriller. Der Schrecken manifestiert sich in der Selbstverständlichkeit, mit welcher das Entsetzliche hingenommen wird, auch von den Protagonisten.
Als einziger internationaler Verleihtitel greift die irreführende deutsche Version "Alles, was wir geben mussten" nicht die Originalwendung auf. Was von den Jugendlichen gefordert wird, lässt sich nicht geben. Es kann nur genommen werden, entnommen, bis das Stadium erreicht ist, das in der Filmwelt "Vollendung" heißt. Der Tod der Charaktere steht fest, bevor sie geboren werden, doch ist es kein natürliches Sterben, sondern ein staatlich sanktionierter Mord. "Never Let Me Go" lautete der Titel von Ishiguros Roman. Es ist der Name einer Melodie, kein romantisches, sondern ein mütterliches Liebeslied, zu dessen Refrain sich Kathy in ihrem Zimmer wiegt..."Baby, Never Let Me Go"... bis sie die Kassette verliert, Symbol für das tröstende Konstrukt einer behüteten Kindheit, das sich auflöst. Sie steht der einzigen Erkenntnis gegenüber, die vielleicht schmerzlicher ist als jene, ein unerwünschtes Kind zu sein: das Wissen, dass sie nur zu einem einzigen barbarischen Zweck in die Welt gesetzt wurde.
Lida Bach /
Wertung: * * * *
(4 von 5)
Quelle der Fotos: 20th Century Fox Filmdaten Alles, was wir geben mussten (Never Let Me Go) GB / USA 2010 Regie: Mark Romanek; Darsteller: Carey Mulligan (Kathy), Andrew Garfield (Tommy), Keira Knightley (Ruth), Ella Purnell (junge Ruth), Isobel Meikle-Small (junge Kathy), Charlie Rowe (junger Tommy), Sally Hawkins (Miss Lucy), Charlotte Rampling (Miss Emily), Nathalie Richard (Madame), Andrea Riseborough (Chrissie), Domhnall Gleeson (Rodney) u.a.; Drehbuch: Alex Garland nach dem Roman von Kazuo Ishiguro; Produktion: Alex Garland, Andrew Macdonald, Allon Reich; Ausführende Produzenten: Mark Romanek, Tessa Ross; Co-Produzent: Richard Hewitt; Kamera: Adam Kimmel; Musik: Rachel Portman; Schnitt: Barney Pilling; Länge: 104 Minuten; FSK: ab 12 Jahren; ein Film im Verleih von Twentieth Century Fox; deutscher Kinostart: 14. April 2011
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