17. Juli 2005

Wunderbare Filmgeschichte im Gewand einer Krimistory

8 Frauen

Frankreich, in den 50-er Jahren. Es treffen sich drei Generationen einer Familie, um die Weihnachtstage zusammen zu verbringen. Das Wintermärchen wird jedoch jäh gestört, als ein Mord geschieht. Regisseur Francois Ozon unternimmt einen Ausflug in die Filmgeschichte im Gewande einer klassischen Kriminalstory. Die Darstellerinnen sind einige der bedeutendsten und populärsten Frauen des französischen Kinos.

Frankreich, in den 50-er Jahren. Die ersten Bilder versprechen eine vollkommene Kitsch-Idylle in Technicolor. Vor einem einsam gelegenen Landhaus in der Provinz springt ein Reh durch den Neuschnee. Es treffen sich drei Generationen einer Familie, um die Weihnachtstage zusammen zu verbringen. Neben dem Industriellen Marcel sind dies fünf Frauen: seine Ehefrau, die Dame des Hauses in Pelz und betonblonder Frisur sowie ihre trinkfreudig-kränkelnde Mutter; ihre Schwester, eine hysterische Jungfer; ihre beiden Töchter, das naseweise Nesthäkchen und die adrette Tochter im rosa Kostüm. Dazu kommt die zupackende Haushälterin und das frech-verführerische Hausmädchen. Das Wintermärchen wird jedoch jäh gestört, als ein Mord geschieht. Ein Schatten im tiefen Schnee vor den Fenstern der Hausfront kündigt den versammelten Anwesenden zudem die überraschende Anwesenheit einer achten Frau an.

Ozons Vorlage, Robert Thomas´ gleichnamiges Boulevarddrama aus den 70-er Jahren, ist das Konstrukt eines klassischen Whodunit-Krimis. Diese Geschichten leben von der Suche und schließlich dem Fund des bis zuletzt unbekannten Mörders, der einem bestimmten Personenkreis zuzuordnen ist.

Die Erzählung Acht Frauen kann die Kulissen des französischen Landhauses nicht verlassen. Die Witterung und Sabotagen machen es unmöglich, das Gelände zu verlassen und polizeiliche Hilfe zu holen. Klar eingegrenzt ist damit auch hier der Täterkreis; der Mörder muss sich am Schauplatz des Verbrechens unter den Anwesenden befinden. Dies ist ebenfalls eine dramaturgische Finesse, die in Kriminalromanen zu finden ist, so beispielsweise in Agatha Christies Mord im Orient-Express, zu dem der Zuschauer noch einige andere Parallelen im Aufbau der Erzählung entdecken kann.

Christies belgischer Meisterdetektiv Hercule Poirot hätte wahrscheinlich Gefallen an der Aufklärung dieses Mordfalles gefunden. Doch Poirot hätte man wahrscheinlich den Zutritt zu der Gesellschaft in diesem abgeschiedenen Landhaus nicht gewährt. Denn der Titel gibt einen vollständigen Überblick über das Personal des Films. Dem einzigen Mann in dieser Szenerie wird man während des gesamten Films nur einmal begegnen: Der Hausherr, Marcel, liegt zusammengesunken in seinem Bett, und in seinem Rücken steckt ein Messer.

Die älteste Tochter des Toten übernimmt zunächst die Rolle der Detektivin. Aber schnell wird klar, dass auch sie nicht Richterin oder Aufklärerin sein kann. Zu tief steckt sie bereits in dem Netz aus Unwahrheiten, das durch Geständnisse und Beschuldigungen Stück für Stück freigelegt wird. Unausgesprochene, aber gelebte Sehnsüchte und Obsessionen, Lebenslügen und Frustrationen kommen ans Licht.

Ozon hat eine Versuchsanordnung geschaffen, die als Löwenkäfig funktioniert. Inzestuös verbunden, verbiestert, gegenseitig verhasst und vor allem einsam sind diese Damen. Nicht nur das Haus ist zu einem Gefängnis geworden, die Köpfe der Aktricen sind es schon lange, denn diese nur auf sich bezogene Gesellschaft scheint aus ihrem Kreis nicht mehr ausbrechen zu können. Wann immer eine Person von außerhalb genannt wird, so sind es austauschbare Statisten, die in dem Hausherrn zu kumulieren scheinen. Als in dem eingeschneiten, abgelegenen Haus eine der Damen das Wort "Mexiko" ausspricht, klingt dies wie ein überirdisches Traumbild.

Acht Frauen lebt auch von dem Spiel einiger der bedeutendsten und populärsten Frauen des französischen Kinos: Danielle Darrieux, Catherine Deneuve, Fanny Ardant, Isabelle Huppert, Firmine Richard, Emmanuelle Béart, Virgine Ledoyen und Ludivine Sagnier. Zeitweise scheinen die Aufnahmen dieser Damen in Posen zu verharren, bis sie die Leinwand gleich Ikonen gar völlig beherrschen. Man mag sich erinnern an Truffauts letzten Film Auf Liebe und Tod (Vivement dimanche, 1983), in dem er seine Lebensgefährtin Ardant auch gleich einer Liebeserklärung mit der Kamera umgarnte. In diesen Momenten der Wertschätzung und Ehrung kommen sentimentale Erinnerungen aus der Filmgeschichte zu ihrem Recht.

In einigen Szenen gerät die Balance zwischen komischer Ironie, spannender Kriminalgeschichte und unbarmherzigem Lebensdrama ins Wanken und wird endlich umso stilsicherer gerettet. Acht Frauen ist angereichert mit Zitaten aus den Welten des Zelluloid: Tanzeinlagen, die an amerikanischen Boulevard und ein anderes Mal an die verführerische Gilda erinnern sowie die weiblichen Charaktere, derer jede ihren eigenen Chanson geben darf. Ozon besitzt die wunderbare Fähigkeit, Zitate in unserem Kopf zu erwecken und auf liebevolle Weise mit ihnen zu arbeiten.

 
Philipp Wallutat / Wertung: * * * * (4 von 5)



Filmdaten

8 Frauen
(8 femmes)

Regie: François Ozon; Darstellerinnen: Catherine Deneuve (Gaby), Isabelle Huppert (Augustine), Emmanuelle Béart (Louise), Fanny Ardant (Pierrette), Virginie Ledoyen (Suzon), Danielle Darrieux (Mamy), Ludivine Sagnier (Catherine), Firmine Richard (Madame Chanel); deutsche Synchronsprecherinnen: Senta Berger (Catherine Deneuve), Katja Riemann (Isabelle Huppert), Nina Hoss (Emmanuelle Béart), Hannelore Elsner (Fanny Ardant), Nicolette Krebitz (Virginie Ledoyen), Ruth Maria Kubitschek (Danielle Darrieux), Cosma Shiva Hagen (Ludivine Sagnier), Jasmin Tabatabei (Firmine Richard); Drehbuch: François Ozon nach dem Theaterstück von Robert Thomas; Kamera: Jeanne Lapoirie;

Frankreich 2001. Länge: 111 Minuten. FSK: ab 12 Jahren.




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Schauspieler und Komiker Karl Valentin

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