Wenn man verreist ist es nicht selten so, dass man eine Menge von verschiedenen
Dingen einpackt, die man im Grunde nicht benötigt. Der Koffer ist
übervoll, schwer, kaum zu tragen, und platzt beinahe aus allen Nähten.
Ähnlich verhält es sich mit der durchaus ambitionierten, aber
auf weiten Strecken misslungenen Verfilmung von Robert Wilsons Leben und
Schaffen. Die Regisseurin Katharina Otto-Bernstein versucht in den
105 Minuten, dem Zuschauer ein glattes und makelloses Bild von Wilson zu
präsentieren, ohne dabei die verschiedenen Facetten seines Charakters
auszuleuchten, wobei sie mit einer Menge Material aufwartet. Dem Zuschauer
wird sehr schnell die unverbrüchliche Sympathie, die die Regisseurin
für den Künstler hegt, klar, und man muss sich fragen, ob eine
Biografie schlussendlich glaubwürdig erscheint, wenn der Filmemacher
die objektivierende Distanz zu seinem Subjekt vollends verloren hat.
Otto-Bernstein kumuliert eine Menge Archivmaterial und montiert dieses
beinahe spielerisch aneinander. Mit unzähligen Ausschnitten aus Wilsons
teils gigantomanischen, überladenen, wuchtigen, Opern, Choreographien,
oder Theaterstücken wird dessen Grandezza immer wieder zelebriert
und nicht selten wird er zum Maestro sui generis erklärt. Problematisch
ist hierbei, dass diese Ausschnitte fragmentarisch sind, und völlig
aus dem Zusammenhang eingespielt werden. Eine Erklärung, die die Werke
in ihrem Kontext erscheinen lässt, bleibt zumeist aus. Die Videosequenzen
lavieren sich somit ohne jedwede Analyse durch den Film hindurch, und sind
somit allenfalls ästhetisierende Segmente. Und immer wieder kehrt
die Kamera zurück. Sie kehrt zurück zu Wilson, der häufig
in der Großaufnahme einen selbstgefälligen und gönnerhaften
Kommentar zu seinem eigenen Schaffen abgibt. Dazwischen werden Interviews
mit Susan Sonntag, Philipp Glass oder Tom Waits - um nur einige zu nennen
- eingestreut, die ebenfalls lobhudelnd die innovative Kraft von Wilsons
Schaffen goutieren.
Die Regisseurin vermag es nicht, einen kritischen Blick auf das monomanische
Verhalten und Werk des Künstlers zu werfen oder dessen guruhaftes
Auftreten auch nur an einer Stelle zu hinterfragen. Wilson stolziert wie
ein leicht aufgeblähter Gockel durch die Menge der ihn Anhimmelnden
und geriert sich selbst als der generöse Menschenfreund. Weder die
künstlerischen Schwächen seines von Opulenz strotzenden Opus,
noch seine menschlichen Schwächen, deren Darstellung sehr wahrscheinlich
überzeugender und authentischer gewesen wären, als die penetrante
Selbstbeweihräucherung, werden thematisiert. Gerade die Egomanie,
die für viele Künstler typisch ist, hätte einer Ironisierung
bedurft. Nicht selten werden Verhaltenweisen, ganz gleich, ob sie negativer
oder positiver Natur sind, durch die Aussagen anderer Interviewter gebrochen.
Aber nicht hier.
Zweifelsohne: Die Verfilmung eines noch lebenden Künstlers ist
ein mitunter heikles Unterfangen, das Fingerspitzengefühl, aber auch
den Anspruch von Authentizität impliziert. Der Filmemacher sollte
bei allem Enthusiasmus für den Künstler nicht außer Acht
lassen, dass ein glatt polierter Charakter im Zweifelsfall weniger überzeugt
als einer mit Ecken und Kanten, an dem sich nicht nur der Kritiker, sondern
vor allen Dingen die Zuschauer stoßen möchten.
Katharina Otto-Bernstein hat außerdem eine Biographie über Wilson verfasst.
Fast zeitgleich erscheinen Buch und Film, Anfang Oktober. Die Filmemacherin / Autorin
lässt als Allround-Genie den PR-Motor aufheulen. Es waren offenbar
nicht viele Seelen, die in der Filmemacherin Brust wohnten, da sie jede
Dialektik und Spannung zugunsten einer trögen Selbststilisierung von
Wilson vermissen lässt. Vielleicht ist der Titel "Absolute Wilson"
eine Art Apologie und antizipiert, dass es hier rein um des Künstlers
Selbstdarstellung geht, um nicht mehr aber auch nicht weniger.
Deutschland / USA 2006
Regie, Drehbuch und Produktion: Katharina Otto-Bernstein;
Mitwirkende: Robert Wilson, David Byrne, Susan Sontag (+2004),
Philipp Glass, Jessye Norman, Charles Fabius, Suzanne Wilson, Christopher Knowles, John Simon u.a.; Co-Produktion:
Penny CM Stankiewicz; Kamera: Ian Saladyga, Eric Seefranz; Musik:
Miriam Cutler;
Länge: 105 Minuten; FSK: ab 6 Jahren;
ein Film im
Verleih von Kinowelt; deutscher Kinostart: 12.
Oktober 2006
Das Werk des
Bühnenregisseurs
Robert Wilson
(Auszüge)
1970:
"Deafman Glance"
1974:
"A Letter To Queen Victoria"
1976:
"Einstein on the Beach"
1983:
"The CIVIL WarS"
1985:
"The Knee Plays"
1991:
"The Black Rider"
"The Forest"
1993:
"Alice in Bed"
2000:
"POEtry"
"Woyzek"
Wilsons Heimatbühne ist die Metropolitan Opera in New York;
große Erfolge feierte Wilson außerdem am Hamburger Thalia
Theater und der Berliner Schaubühne
Zitat
"Du erkennst wahre Schönheit einer Person erst, wenn sie älter wird."
Schauspielerin Anouk Aimée (27. April 1932 - 18. Juni 2024)