September 2006
Absolute Wilson
Wenn man verreist ist es nicht selten so, dass man eine Menge von verschiedenen Dingen einpackt, die man im Grunde nicht benötigt. Der Koffer ist übervoll, schwer, kaum zu tragen, und platzt beinahe aus allen Nähten. Ähnlich verhält es sich mit der durchaus ambitionierten, aber auf weiten Strecken misslungenen Verfilmung von Robert Wilsons Leben und Schaffen. Die Regisseurin Katharina Otto-Bernstein versucht in den 105 Minuten, dem Zuschauer ein glattes und makelloses Bild von Wilson zu präsentieren, ohne dabei die verschiedenen Facetten seines Charakters auszuleuchten, wobei sie mit einer Menge Material aufwartet. Dem Zuschauer wird sehr schnell die unverbrüchliche Sympathie, die die Regisseurin für den Künstler hegt, klar, und man muss sich fragen, ob eine Biografie schlussendlich glaubwürdig erscheint, wenn der Filmemacher die objektivierende Distanz zu seinem Subjekt vollends verloren hat. Otto-Bernstein kumuliert eine Menge Archivmaterial und montiert dieses beinahe spielerisch aneinander. Mit unzähligen Ausschnitten aus Wilsons teils gigantomanischen, überladenen, wuchtigen, Opern, Choreographien, oder Theaterstücken wird dessen Grandezza immer wieder zelebriert und nicht selten wird er zum Maestro sui generis erklärt. Problematisch ist hierbei, dass diese Ausschnitte fragmentarisch sind, und völlig aus dem Zusammenhang eingespielt werden. Eine Erklärung, die die Werke in ihrem Kontext erscheinen lässt, bleibt zumeist aus. Die Videosequenzen lavieren sich somit ohne jedwede Analyse durch den Film hindurch, und sind somit allenfalls ästhetisierende Segmente. Und immer wieder kehrt die Kamera zurück. Sie kehrt zurück zu Wilson, der häufig in der Großaufnahme einen selbstgefälligen und gönnerhaften Kommentar zu seinem eigenen Schaffen abgibt. Dazwischen werden Interviews mit Susan Sonntag, Philipp Glass oder Tom Waits - um nur einige zu nennen - eingestreut, die ebenfalls lobhudelnd die innovative Kraft von Wilsons Schaffen goutieren. Die Regisseurin vermag es nicht, einen kritischen Blick auf das monomanische Verhalten und Werk des Künstlers zu werfen oder dessen guruhaftes Auftreten auch nur an einer Stelle zu hinterfragen. Wilson stolziert wie ein leicht aufgeblähter Gockel durch die Menge der ihn Anhimmelnden und geriert sich selbst als der generöse Menschenfreund. Weder die künstlerischen Schwächen seines von Opulenz strotzenden Opus, noch seine menschlichen Schwächen, deren Darstellung sehr wahrscheinlich überzeugender und authentischer gewesen wären, als die penetrante Selbstbeweihräucherung, werden thematisiert. Gerade die Egomanie, die für viele Künstler typisch ist, hätte einer Ironisierung bedurft. Nicht selten werden Verhaltenweisen, ganz gleich, ob sie negativer oder positiver Natur sind, durch die Aussagen anderer Interviewter gebrochen. Aber nicht hier. Zweifelsohne: Die Verfilmung eines noch lebenden Künstlers ist ein mitunter heikles Unterfangen, das Fingerspitzengefühl, aber auch den Anspruch von Authentizität impliziert. Der Filmemacher sollte bei allem Enthusiasmus für den Künstler nicht außer Acht lassen, dass ein glatt polierter Charakter im Zweifelsfall weniger überzeugt als einer mit Ecken und Kanten, an dem sich nicht nur der Kritiker, sondern vor allen Dingen die Zuschauer stoßen möchten. Katharina Otto-Bernstein hat außerdem eine Biographie über Wilson verfasst.
Fast zeitgleich erscheinen Buch und Film, Anfang Oktober. Die Filmemacherin / Autorin
lässt als Allround-Genie den PR-Motor aufheulen. Es waren offenbar
nicht viele Seelen, die in der Filmemacherin Brust wohnten, da sie jede
Dialektik und Spannung zugunsten einer trögen Selbststilisierung von
Wilson vermissen lässt. Vielleicht ist der Titel "Absolute Wilson"
eine Art Apologie und antizipiert, dass es hier rein um des Künstlers
Selbstdarstellung geht, um nicht mehr aber auch nicht weniger.
Sven Weidner /
Wertung: *
(1 von 5)
Quelle der Fotos: Kinowelt Filmdaten Absolute Wilson (Absolute Wilson) Deutschland / USA 2006
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