17.02.2016
A Quiet Passion
![]() Dabei beginnt "A Quiet Passion" so beschwingt und lustig, dass man sich inmitten einer Oscar Wildeschen Komödie wähnt: Emily, deren Schwester Lavinia, genannt Vinnie, und ihr Bruder Austin necken einander mit Aphorismen, die den Ernst des Lebens in die Wohligkeit einer immerwährenden Gartenparty verwandeln. Der für das 19. Jahrhundert erstaunlich liberal denkende Vater toleriert nicht nur das nächtliche Schreiben Emilys, sondern auch den verbalen Wettstreit, den sich seine Kinder dabei liefern, einer religiösen Tante mit frechen Bemerkungen Paroli zu bieten. Als Emily etwa die Frage der Tante, wie sie die von der Tante verfasste Lyrik denn fände, mit einem doppeldeutigen Kommentar beantwortet, bemerkt die Tante, dies sei aber ein fragwürdiges Kompliment. "Alle Komplimente sind fragwürdig", kontert Emily, "das macht doch im Kern ihren Charme aus." Selbst gegen den Kirchenbesuch rebelliert die hitzköpfige Emily erfolgreich.
Freundschaft und Familie stellen die zentralen Werte für Emily dar; die Möglichkeit, wichtige Bezugspersonen beispielsweise durch Heirat derselben zu verlieren, ist eine reale Bedrohung. Wenn die konventionellen Formen des Zusammenseins auch kein Glück verheißen, so scheinen sie doch mit einer gewissen Unausweichlichkeit verbunden: Als Buffam ihre bevorstehende Heirat mit einem Mathematik-Professor verkündet, will Emily wissen, ob sie den Hochzeitsmarsch von Mendelssohn Bartholdy spielen lassen wird. "Man sollte niemals glückliche Musik auf einer Hochzeit spielen", distanziert sich diese, "es ist so irreführend." Freunde also. Familie. Bruder Austin heiratet, die Braut zieht in der Nähe mit dem Bruder ein, und Emily gewinnt eine neue Freundin – ein Coup für die emotional angeblich so Bedürftige.
Der Film kombiniert Charakteristika, die in ihrer Summe ein zweifelhaftes Portrait abgeben, das das Wesentliche von Dickinsons Existenz, nämlich ihr literarisches Schaffen, nahezu konsequent ausblendet. Stattdessen ist Davies' Emily eine lust- und lebensfeindliche alte Jungfer, die ihren Bruder aufs Schärfste maßregelt, als dieser im Begriff ist, einen Seitensprung zu begehen. Sie weist Menschen, die ihr zugewandt sind, harsch ab, zieht sich erbittert zurück und konfrontiert den Zuschauer nun lediglich noch mit ihrer Krankheit: schlimmen Krämpfen, von denen sie infolge eines Nierenleidens geschüttelt wird. Gegen Ende hin wird das Pathos schwer erträglich: Die einsame, verbitterte, missgünstige Kranke, die irgendwann auch mal ein Gedicht geschrieben haben muss, siecht zur elegischen Musik eines Charles Ives dahin. Schade – so viel mehr wäre möglich gewesen. Gerade mit Cynthia Nixon, einer Ausnahmeschauspielerin, die so vielen unterschiedlichen Facetten einer Persönlichkeit Ausdruck verleihen kann. Jasmin Drescher /
Wertung: * *
(2 von 5)
Quelle der Fotos: Johan Voets, A Quiet Passion Ltd/Hurricane Films 2016 Filmdaten A Quiet Passion (A Quiet Passion) GB/Belgien 2015 Regie & Drehbuch: Terence Davies; Darsteller: Cynthia Nixon (Emily Dickinson), Jennifer Ehle (Vinnie Dickinson), Keith Carradine (Mr Dickinson), Emma Bell (Emily Dickinson, jung), Duncan Duff (Austin Dickinson), Jodhi May (Susan Dickinson), Catherine Bailey (Ms Vryling Buffam), Joanna Bacon (Mrs Dickinson), Annette Badland (Tante Elizabeth), Eric Loren (Reverend Wadsworth) u.a.; Produzenten: Roy Boulter, Sol Papadopoulos; Kamera: Florian Hoffmeister; Schnitt: Pia Di Ciaula; Länge: 125 Minuten; deutscher Kinostart: unbekannt
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