02.04.2014
A Long Way Down
"Vier Leute, die sich umbringen wollen... Die einen Pakt schließen weiterzuleben... Hoffnung finden... Es die Art positiver Geschichte, die die Presse liebt!" Nein, da liegt Pierce Brosnan falsch. Genauer: der desavouierte Frühstücksfernsehmoderator Martin Sharp, den Brosnan in "A Long Way Down" verkörpert. Oder noch genauer: Pascal Chaumeil, der die Tragikomödie inszenierte. Oder ganz genau: Drehbuchautor Jack Thorne mit seiner larmoyanten Story.
Die basiert auf dem gleichnamigen Roman Nick Hornbys, dessen Bestseller "About a Boy" gerade als Comedy-Serie vermarktet wird. Zusammen mit den jüngst erschienenen Anthologien seiner alten Zeitungskolumnen wirkt das ein bisschen wie Nick-Hornby-Sale. Das Ganze hätte eine positive Seite, wäre danach Platz für frische Ideen. Die fehlen gänzlich in der pennälerhaften Abarbeitung der altbackensten Suizid-Klischees. Lebensmüde töten sich gern an besonderen Tagen und am liebsten um Weihnachten herum. Lebensmüde töten sich gern an besonderen Orten. Lebensmüde haben einen besonderen Lebenshintergrund. Nicht zu vergessen das wichtigste Suizid-Klischee, das die Handlung quasi bedingt: Lebensmüde wollen gar nicht sterben, sie wollen wachgerüttelt werden! Paradebeispiel dafür sind die vier Sprungkandidaten, die in der Neujahrsnacht auf dem Dach eines Londoner Hochhauses aufeinandertreffen. Da das statt einer der selbstverständlich total verschiedenen Gestalten lediglich die Depri-Stimmung killt, schließen B-Promi Martin, der seine Karriere, Ehe und gute Laune mit einem Sexskandal ruiniert hat, die mausige Vollzeitpflegerin ihres schwerstbehinderten Sohnes Maureen (Toni Collette), die neurotische Politikertochter Jess (Imogen Poots) und der angeblich krebskranke JJ (Aaron Paul) einen Aufschubspakt. Was folgt ist bittersüß, in der Reihenfolge: bitter, als die Figuren der Reihe nach ihre verkorksten Existenzen im Voice-Over offenlegen, süß, als sie ihr Leben als Pflichtveranstaltung hinzunehmen lernen. Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist. Ein paar Schönheitskorrekturen am Dasein sind erlaubt, aber keine radikalen Operationen! Chaumeil interpretiert den Begriff "Selbstmörder" im ursprünglichen Wortsinn als Übeltäter, der an seinem Verbrechensplan gehindert und moralisch geläutert werden muss. Paradoxerweise macht diese plumpe Erbaulichkeit das radikale Schlussmachen gut verständlich. Man möchte selbst mittendrin aufhören, statt das Elend bis zum Ende auszusitzen, zumindest im Bezug auf die Handlung. Deren Ausgang ist von der ersten Minute an so absehbar wie die aufgesetzten Dialoge, die jede Berechtigung eines Suizids durch Kleinkariertheit weg zu erklären versuchen. Was, wenn man beim Fall den letzten Schritt, nämlich den vom Hochhausdach bereut? So etwa lautet die Durchhaltemoral des Ensemblestücks, das keine Zeit verliert, in verkrampften Gute-Laune-Modus zu schalten. Mit arroganter Selbstüberzeugung werden die profansten Depressionskuren propagiert: mal was mit Freunden unternehmen, Urlaub machen wo's sonnig ist, nicht mehr der Vergangenheit nachtrauern, sich auf die guten alten Familienbanden stützen. Und wenn das alles nichts hilft, ab zum Psychiater! Dort landet JJ, der nicht todkrank ist, sondern tödlich beleidigt, da seine Musikerkarriere mit einem Job als Pizzabote endete. "Gedemütigt" fühlt sich nach eigener Aussage auch Martin, nachdem sein One-Night-Stand mit einer 15-Jährigen aufgedeckt wurde. Jess ist bloß ein Aufmerksamkeitsjunkie, der Nichtbeachtung als persönlichen Affront auffasst. Maureens Aktion schließlich ist der mustergültige Hilferuf, der prompt durch sich urplötzlich anbietenden medizinischen und sozialstaatlichen Beistand beantwortet wird. Die Tragik der einzelnen Biografien bleibt durch die oberflächliche Lösung bloße Behauptung, genau wie die Entwicklung des Anti-Selbstmörderclubs zum buchstäblichen Bund fürs Leben. Die solide Darstellerriege kann den hohlen Phrasen, die inszenatorisch und verbal gedroschen werden, keine Glaubhaftigkeit verleihen. Der Feel-Good-Film mit dem Quotensiegel "herzerwärmend" wirkt in seiner Verlogenheit niederschmetternder, als es eine weniger klebrige Herangehensweise je könnte. Prognostiziert der Filmtitel womöglich den Verlauf der narrativen Niveaukurve? Tief runter, in einer Langatmigkeit, die Martin gleich zu Beginn beklagt: "Das ist das Problem mit Selbstmorden: Man kann eine lange Geschichte einfach nicht kurz machen." Lida Bach /
Wertung: *
(1 von 5)
Quelle der Fotos: DCM Filmdaten A Long Way Down (A Long Way Down) GB / Deutschland 2014 Regie: Pascal Chaumeil; Darsteller: Imogen Poots (Jess Crichton), Aaron Paul (J.J.), Rosamund Pike (Penny), Pierce Brosnan (Martin Sharp), Toni Collette (Maureen), Sam Neill (Chris), Tuppence Middleton (Kathy) u.a.; Drehbuch: Jack Thorne nach dem Roman von Nick Hornby; Produzenten: Finola Dwyer, Amanda Posey; Kamera: Ben Davis; Musik: Dario Marianelli; Schnitt: Chris Gill, Barney Pilling; Länge: 95,45 Minuten; FSK: ab 6 Jahren; ein Film im Verleih der DCM Film Distribution GmbH; deutscher Kinostart: 3. April 2014
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