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Das Münchner Filmfest wird 30
– Eine kleine Nachlese


Ein Essay von Sven Weidner

Obwohl das Münchner Filmfest nicht unter den sogenannten A-Festivals rangiert – ebenso wenig wie Toronto oder die Viennale in Wien, wo mithin hochkarätige auch kontroverse Filme und Reihen gezeigt werden – konnte sich das Filmfest in den letzten 30 Jahren einiges an Reputation unter Filmschaffenden und Filmliebhabern aufbauen. Das Filmfest München ist damals aus der Idee entsprungen, ein veritables Forum zu schaffen, das dem Autorenfilm mehr Raum zur Entfaltung geben sollte. Nach Auffassung einiger Filmemacher, aber auch jenen, die sich dem deutschen Autorenfilm verpflichtet fühlten, hatte die Berlinale den Autorenfilm schlichtweg nicht gebührend behandelt.

Im Laufe der Jahre entwickelte sich in München ein gediegenes Publikumsfestival, das Wettbewerbe und aufgemotzte Preisverleihungen a priori nicht in den Fokus rückt, zum zweitgrößten Filmfest Deutschlands. Wobei hier, an dieser Stelle gleich einzuräumen ist, dass generell die Größe, wie auch der Bekanntheitsgrad eines Festivals keineswegs ein Garant für die Qualität der ausgesuchten Filme sein muss, ja sein kann. Beispiele für diese These: die Hofer Filmtage, oder das Filmfestival Max-Ophüls-Preis.

Das Arthouse-Kino, die verschiedenen Reihen wie Retrospektiven, diverse Hommagen, Filmbesprechungen und Seminare um das Festival herum arrangiert, sowie vielversprechende Zusatzveranstaltungen, bestimmen nach wie vor das Wesen des Filmfests. Und freilich: die Mainstreamisierung von Gesellschaft und Film, der flehentliche Ruf doch endlich mehr Glanz und Glamour an die Isar zu bringen, wurde in den letzten Jahren immer lauter und unüberhörbar. Dass man dem Herrn Kosslick, mit seinem im eisigen Februarwind wehenden roten Schal – neben dem Bären das wahre Markenzeichen der Berlinale – nicht den Rang ablaufen kann: geschenkt. Und dem Azur von Cannes, seiner filmischen Geschichtsträchtigkeit, und seinem beinahe penetranten Prominenzschaulaufen, kann die bayrische Kapitale in punkto Glamour schlechterdings nichts entgegensetzen. Dasselbe gilt für den nunmehr etwas angekratzten Lido, wo sich Hollywoods Granden am gleichfalls stinkigem Canale Grande kräftig feiern lassen. Dem wahren Filmconnaisseur lassen solche Forderungen, also nach mehr Schall und Rauch, kalt. Nachdenkliche, reflektierte, wie visuell angespornte Filme sind die eigentlichen Prämissen, und Kategorien, die als Maßstäbe heranzuziehen sind, und nicht, ob irgendein Promi sein neutrales Fassadenlächeln in die nervösen Kameras hineinlächelt.

Schwieriger haben es in diesem Punkt zweifelsohne die Festivalleiter, um deren Spagat sie niemand beneiden wird. Der Grat zwischen ökonomischen Notwendigkeiten, und einer wachsenden Popularisierung, vielleicht auch Entertainisierung auf der einen Seite, und Kunst, unabhängigen, bisweilen auch nischenartigen wie anspruchsvolleren Filmen andererseits, ist schmal. Zumal man beides unter einen Hut bringen möchte. In diesem Jahr feiert das Münchner Filmfest nicht nur sein 30jähriges Jubiläum: An der Spitze hat sich ein Wechsel vollzogen und Andreas Ströbl wurde als Festivalleiter von Diana Iljine abgelöst. Deren Credo den Glamourfaktor zu erhöhen, mehr Stars nach München zu holen, es also attraktiver zu machen, gleichzeitig aber das filmkünstlerische Niveau beizubehalten, ist ein hehres Ziel. Immerhin hat die sympathisch wirkende und durchaus medienkompatible neue Chefin das Programm quantitativ ausgedünnt von ca. 240 Filmen im letzten Jahr auf ca. 180 in diesem. Eine lobenswerte Entscheidung, kranken doch Festivals vielfach daran, schlussendlich unüberschaubare Mengen an Filmen anzubieten, deren Qualität nolens volens zum Teil zu Wünschen übrig lassen; und die vielleicht in kleineren Rahmen besser aufgehoben wären. Was die einzelnen Sektionen angeht, gibt es die "American Independents" und das "Cinéma Francais" nicht mehr. Als zu beengend ist die erste Kategorie empfunden worden, mit der Begründung, unabhängige Filme würde auf der ganzen Welt und nicht nur in den USA entstehen, so dass diese neue Reihe nun "International Independents" heißt. Drei neue Kategorien "CineMasters", "CineVision" und "Spotlight" ordnen das Programm neu. Allerdings ist diese neue Ausrichtung fraglich, können doch viele Filme ohne weiteres in einer anderen Reihe laufen, und – wenn so will – sind alle Filme kinematische Visionen, was sonst? München geht hier dem gleichen Fehler und der falschen Annahme auf den Leim wie die Berlinale; man versucht durch möglichst viele Kategorien, eine moderne Vielfältigkeit zu demonstrieren, ohne dabei zu erkennen, dass sich manches nur überlappt. Ein wenig will man neu gestalten, aber genau besehen fließt hier neuer Wein aus alten Schläuchen.

Insbesondere die vielen Hommagen ergänzen eine solide Filmauswahl. Hervorzuheben hier die Rainer-Werner-Fassbinder-Hommage. Kaum ein anderer deutscher Regisseur wird so mit München – Fassbinders Heimatstadt – assoziiert, wie das einste Enfant Terrible des Deutschen Films. Das Filmfest zeigte eine Reihe seiner eher unbekannten Filme, die unser Filmgedächtnis in Bezug auf Fassbinder nicht nur wiederbeleben, sondern seine Progressivität, und seinen unzweideutigen Willen, seiner eigenen Handschrift treu zu bleiben par excellence belegen. Die Fassbinder-Mimin Ingrid Caven stand dem Publikum für ein Gespräch zur Verfügung, und auch Udo Kier – der Mann mit den unverwechselbaren Wahnsinnsblick – war beim Filmfest nicht zuletzt als Jury-Mitglied zugegen.

Nicht minder relevant die Werkschau des US-amerikanischen Independentregisseurs Todd Haynes, dessen komplettes Oeuvre in einer eigenen Reihe präsentiert wird. Seine Mini-Serie "Mildred Pierce" ist erstmalig in Deutschland zu sehen gewesen, und angesichts des in einigen Film-Feuilletons hochgeschriebenen amerikanischen Qualitätsfernsehens, das in einigen Serien nach der Meinung mancher Kritiker seine Meriten zu Recht erhalten hat, sicherlich ein Zugewinn; man darf davon ausgehen, dass Haynes an der Qualitätsschraube des Serienformats ordentlich zu drehen versteht, hat er doch schon einige andere Genres stilsicher durchdekliniert. Haynes ist einer der stillen Großen des US-amerikanischen Indepedentkinos, was man auch in der einstündigen Pressekonferenz gesehen hat, die mehr ein Dialog zwischen ihm und dem Moderator, und dennoch aufschlussreich war. Hintergründig erzählt er von seinen Erfahrungen mit Schauspielern, seinen künstlerischen Einflüssen und auch von der Entstehungsgeschichte einzelner Filme. Er krakeelt keineswegs irgendetwas heraus, oder verliert sich in nichtssagenden zur Schau gestellten Lobhudeleien. Haynes ist erfrischend uneitel, so ganz ohne Manierismen, und aufspielerischen Attitüden.

Was die Filme anbelangt, seien hier kurz drei erwähnt, die den Verfasser beeindruckt haben. Altmeister Abel Ferrara, – eher bekannt für beinhartes Genrekino, das unermüdlich wie unerschrocken radikal immer wieder um Rache und Sühne, um die Offenlegung zerbrochener Underdogs kreist – legt ein Weltuntergangsszenario erster Güte vor. Apokalyptische Endzeitversionen sind immer wieder en vogue, und Hollywood hat in gellend wie bombastischen Bildern dieses Genre beinahe bis zur Blutleere ausgesaugt, und sogar Steven Soderbergh hat die Welt in "Contagion" in einer eigenartigen Stereotypie zu Grunde gehen lassen, die seinen Fähigkeiten entsprechend unwürdig war.

Im Film "4:44 Last Days on Earth" inszeniert Ferrara ein Kammerspiel, den letzten Tag eines exzentrischen New Yorkers Künstlerpaars (exzellent verkörpert von Willem Dafoe und Shanyn Leigh) vor dem finalen Showdown. Das Narrativ ist unterbrochen und sphärisch vermischt mit zum Teil experimentellen Bilderreigen, und Ferrara spannt den globalen Bogen, blickt von New York aus in die anderen Winkel der Welt, während dieses letzten Tages; wenngleich es nur ein ephemerer Blick ist, ist er gleichermaßen intensiv wie berauschend. Die Bedeutung von zwischenmenschlichen Beziehungen, von Eifersucht und gegenseitigem Unverständnis, die auch in dieser fatalen Situation aufkeimen, die Rolle der sozialen Medien, der Medien überhaupt, werden rekapituliert. Abel Ferraras teil surreale, visuelle Strategien, seine mächtige Bebilderung sind ein hochsensibler Gegenentwurf zu den gängigen Endzeitversionen.

Jacques Audiard hat schon mit "Der wilde Schlag meines Herzens" und dann mit "Un prophète" zwei Filme auf die Leinwand gebracht, die eine verheißungsvolle Perspektive auf weitere kommende Werke eröffnete. Seine abgegrenzten Männerwelten, ein Milieu von Halbseidenen wie Halbkriminellen, und der einsamen Wölfe, haben trotz ihres martialischen Duktus einen nicht wegzudiskutierenden Charme, fühlen sich doch die Protagonisten nicht immer wohl in den ihnen zugeschrieben Rollen. Ihre eigentliche Antagonisten sind nicht die anderen Kriminellen, oder ihre Umwelt, sondern vielmehr ihre ureigenen Emotionen, und die Unfähigkeit diese zu äußern, und zu leben. Alis (Matthias Schoenaerts) und Stephs (Marion Cottilard) Lebenswege kreuzen sich in "Rust and Bone". Er: Boxer, unfähig für sein Kind zu sorgen, ständig durch zwielichtige Geschäfte und Arbeiten mittellos. Sie: Waltrainerin, durch einen Unfall ohne Beine, nunmehr behindert, dem Leben fortan abgewandt.

Tough guy meets wounded girl. Die Höhen und Tiefen, die Fehlschläge und unvermeidlichen Täuschungen und Enttäuschungen sind vorprogrammiert, ebenso die Konflitklinien. Audiards Kameramann fängt stimmige, manchmal grobkörnige, bisweilen unruhige Bilder und Szenerien, seiner durch und durch plausiblen Charaktere ein. Seine kühne Unvermitteltheit ist sein großer Trumpf, wie auch seine ganz und gar sichere Auswahl der Musik durch Alexandre Desplat. Zugegebenermaßen dünn der Schluß: allzu glatt das Happy End, das beinahe märchenhaft daherkommt, und auch die Wendungen und Dramatisierungen im letzten Drittel wirken in der Summe zuweilen aufgepropft. Der Film wurde auf den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes als potentieller Konkurrent zu Haneke gehandelt. Audiard unterlag jedoch dem Österreicher, für den seitens der Kritik mit einem unangenehmen und voreiligem Übereifer schon im Vorfeld dicke Kränze geflochten worden sind.

Eine Passage durch die Zeitgeschichte und die verhängnisvollen Wirren des 20. Jahrhunderts bietet der Dokumentarfilm "Roman Polanski – A Film Memoir" von Laurent Bouzereau. Dieser filmt ein langes, wie intensives Gespräch zwischen Polanski und dessen Freund Andrew Braunsberg ab. Die Aufnahmen entstanden während Polanskis Hausarrests in seinem Haus in der Schweiz, und in dieser Abgeschiedenheit, und privaten Atmosphäre, auch unter dem Eindruck von Polanskis ungewisser Zukunft, erzählt dieser von seinem Leben. Ein Leben, dass voller Tragik und Dramatik steckt, angefangen von seiner Kindheit im Warschauer Ghetto, dem Verlust seiner Mutter, dem bestialischen Mord an seiner schwangeren Ehefrau Sharon Tate, bis hin zur unheilvollen Verhaftung wegen des Vergewaltigungsdelikts in den 1970er Jahren.

Neben den biographischen Elementen erläutert Polanski zu vielen seiner Filme Details zu ihrem Entstehen, über die Zusammenarbeit mit Schauspielern und Kollegen über die ganz persönliche Bedeutung, die einzelne Filme für ihn und sein Leben haben. Ganz deutlich wird hier, dass Polanski weder auf ein Genre noch Sujet abonniert ist, wenngleich er sich der unterschiedlichen Stärken seiner Werke bewusst ist. Unterfüttert wird das Gespräch mit vielen Archivmaterialen, Sequenzen aus seinen Filmen, Aufnahmen der Sets, und Fotomaterial, das mittels des McBurns Effekts noch einmal wie gegenwärtig wirkt. Die Dokumentation, die auf chronologische Gradlinigkeit setzt, ist ein machtvolles Zeugnis eines international anerkannten Filmemachers, das noch lange nachwirkt.

Festivalleiterin Diana Iljine ist unter anderem mit der Absicht angetreten das Münchner Filmfest mit medial illustrer wie tauglicher Prominenz aufzupeppen. Melanie Griffith, Ingrid Caven, Udo Kier, Todd Haynes, Julie Delpy – um nur einige zu nennen – habe Iljines Auftakt gesäumt. In schlechter Gesellschaft befand man sich also mitnichten. Dasselbe ist zu behaupten für die Auswahl der Filme, und der wohldurchdachten Retrospektiven, wie Sonderreihen und Veranstaltungen. Bei aller Tendenz, und dem nachvollziehbaren Wunsch nach ein bisschen mehr Spektakularität, die freilich erfrischend sein und das Selbstbewusstsein heben kann, muss die Wahl und Präsentation außergewöhnlicher Filme Leitgedanke und Charakter des Filmfests bleiben.

 






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"Was soll das denn sein - wo du doch Schauspieler sein kannst? Da will man doch nicht Arzt werden!"

Die Reaktion der schauspielernden Eltern von Michael Verhoeven (13. Juli 1938 - 22. April 2024) auf seinen Wunsch, Medizin zu studieren - er wurde Regisseur ("o.k.", "Die weiße Rose"), Schauspieler ("Das fliegende Klassenzimmer" (1954), "Der Pauker") und Arzt

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