Zur vollständigen Darstellung der Seite aktivieren Sie bitte Javascript. Filmrezension: Takashi Miike
 

DVD-Rezension:
Takashi Miike
Collector's Box


von Thomas Hajduk


Es sieht aus wie Akupunktur: Eine Frau sticht mit Nadeln in den Torso des Mannes. Sie ist jedoch keine Heilerin, sondern eine Killerin, der Mann unter ihr kein Patient, sondern ihr regungsloses Opfer. Spätestens, wenn sie bei den Augen ankommt und diese durchsticht, haben nicht nur zartbesaitete Zuschauer den Kinosaal verlassen. Die folgende Beinamputation bei vollem Bewusstsein haben sie sich somit erspart.

Das ist die berüchtigte Szene aus Takashi Miikes "Audition", des Films, der den japanischen Regisseur einem größeren Publikum bekannt machte. Zusammen mit "Ichi the Killer" und "Dead or Alive" hat er Miike zweifelhaftem Ruhm eingebracht: Bei westlichen Zuschauern ist Miike vielfach synonym mit asiatischem Extremkino, also der expliziten Darstellung sich überschlagender Gewalt und sexueller Perversionen.

Das ist die eine Seite, der Miike einen Großteil der öffentlichen Aufmerksamkeit verdankt. Eine andere sind die weniger bekannten Kinderfilme ("Zebraman", "The Great Yokai War") sowie die Werke mit philosophischem Anspruch. Gerade diese werden von Verteidigern des Regisseurs ins Feld geführt, sollen sie doch zeigen, dass es Miike um mehr als den Tabubruch geht.

So erklärt es sich, dass die im März veröffentlichte "Takashi Miike Collector's Box" neben "Audition" die weit weniger bekannten Titel "Visitor Q" und "Izo" enthält. Um es vorwegzunehmen: Beide Filme sind extremer als „Audition", der ein vergleichsweise ruhiger und kontemplativer Film ist. In ihm lässt sich ein älterer Witwer auf ein Vorsprechen junger Damen ein, von denen eine seine selige Frau ersetzen möge. Dummerweise verguckt er sich gerade in jene Dame, die in ihrer Kindheit misshandelt wurde und deswegen zur männermodernden Furie mutierte.

Sieht man von der sadistischen Schlusssequenz ab, ist "Audition" fast schon eine Meditation über Treue, Liebe und Rache. Letzteres ist ein häufig im asiatischen Kino zu findendes Motiv. Es ist auch der Stoff, aus dem „Izo" gemacht ist. Der Film über den Geist eines hingerichteten Samurais ist eigentlich eine Abfolge absurder Szenen. Darin irrt Izo durch Raum und Zeit und metzelt auf der Suche nach seinen Mördern, die zugleich die Herren Japans sind, jeden nieder, der ihm in die Quere kommt: Yakuza, Mönche, Polizisten, Samurais, Frauen, Kinder. Auf seinem Rachetrip kennt der Geist keine Gnade und, weil er unsterblich ist, praktischerweise auch nicht den Tod.

"Izo" ist kein reiner Schlachtfilm. Während er jedermann mit seinem Schwert niederstreckt, philosophiert der Samurai unentwegt, etwa wenn er die Gnadenlosigkeit als Ursache allen Lebens erkannt haben will. Dabei gelingen Miike einige in ihrer Symbolkraft wunderbare Szenen. In einer von ihnen bringt Izo zusammen mit untoten japanischen Soldaten des Zweiten Weltkrieges einen General zur Strecke. Insgesamt wirkt der Film aber zu fragmentarisch und willkürlich und sind seine "philosophischen" Aussagen oftmals zu abgedroschen, um überzeugen zu können. Das dürfte nicht zuletzt eine Folge der kurzen Drehdauer von gerade einmal sechs Wochen sein.

Einen ähnlichen Eindruck macht die Low-Budget-Produktion "Visitor Q". Der mit einer digitalen Handkamera abgedrehte Film soll so etwas wie eine schwarze Komödie sein. De facto ist er einer der extremsten Filme, die das Kunstkino hervorgebracht hat, vergleichbar mit "Mann beißt Hund" oder den härtesten Szenen aus "Natural Born Killers".

Im Zentrum der Handlung steht eine vierköpfige, vollkommen dysfunktionale Familie. Der Sohn ist Prügelknabe in der Schule und verbläut im Gegenzug seine wehrlose Mutter, wobei der Vater teilnahmslos zusieht. Dieser wird in seinem Job als gewaltgeiler Reporter vergewaltigt und bringt schließlich seine Kollegin um, mit deren Leiche er zur großen Freude seiner Frau Sex hat. Diese sowie die ausgerissene Tochter verdingen sich als Domina bzw. Prostituierte. Ein Kunde der Tochter: der eigene Vater.

"Visitor Q" ist ein widerliches Machwerk. Zwar sind alle Szenen dermaßen überzeichnet, dass ihre gesellschaftssatirische Intention außer Zweifel steht (die Miike aber leugnet). Dennoch überschreitet dieser schwarze Humor mehrmals schlicht die Grenzen selbst des schlechten Geschmacks. Schlimmer: Die Grenzüberschreitung dient keinem erkennbaren Nutzen außer demjenigen, gegen die herrschende Moral zu verstoßen.

In David Finchers "Seven" sagte der Serienmörder John Doe, es reiche nicht, jemanden an die Schulter zu tippen, damit er zuhöre. Man müsse schon mit dem Vorschlaghammer zuschlagen. Wenn einem die Hammerschläge und Kotkübel nichts ausmachen, die Miike seinen Zuschauern zumutet, dann kann man in seinem Werk manche Perle finden, wozu dann gewiss die drei Titel der "Takashi Miike Collector's Box" gehören. Wem die notwendige Distanz (oder Verrohung) fehlt, der halte sich besser an Miikes subtilere Filme oder umgehe den Mann gleich ganz.

Wertung: * * * (3/5)

 

TAKASHI MIIKE COLLECTOR'S BOX



Japan 1999-2004, Regie: Takashi Miike

VÖ: 14. März 2008

Label: Rapid Eye Movies




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