19.11.1997

Kommerzielle Reanimation mit munterer Nostalgie

Scream - Schrei!
Filmplakat

"Es ist, als hätte jemand die Zeit zurückgedreht." Sidney Prescott in Scream

Die Highschoolschülerin Casey Becker hat sich mit Horrorvideos und Popcorn eigentlich schon auf einen gemütlichen Abend eingerichtet, als das Telefon klingelt. Der anonyme Anrufer, der versucht, mit Casey ins Gespräch zu kommen und anfänglich mit ihr flirtet, wird allerdings plötzlich aggressiv und bedroht sie. Caseys Warnung, ihr Freund Steve, den sie erwartet, träfe bald ein, kann den unheimlichen Anrufer nicht verschrecken. Denn Steve sitzt schon längst gefesselt und geknebelt auf der Terrasse. Der Unbekannte schlägt Casey nun ein Ratespiel vor, das über das Leben ihres Freundes entscheiden soll. Weil die verstörte Casey die Frage nach dem Mörder im Film Freitag, der 13. nicht richtig beantworten kann, wird Steve vor ihren Augen ausgeweidet. Eine letzte Frage entscheidet über ihr eigenes Überleben: Hinter welcher Tür wartet der Killer?

Ein Mörder geht um in der amerikanischen Kleinstadt Woodsboro und Steve ist nicht der letzte, der von ihm heimgesucht wird. Wie er kommen auch weitere Opfer aus der örtlichen Highschool, auf die sich die dunkle Gestalt, die sich in der Maske von Munchs Schrei präsentiert, bei ihren Aktivitäten konzentriert. Soweit der konventionelle Handlungsstrang, der alleine aber nicht das eigentlich Erwähnenswerte an diesem Film ist. Mit Scream unternimmt Wes Craven, Vater der neben Halloween - Die Nacht des Schreckens (Halloween, 1978) und Freitag, der 13. (Friday the 13th, 1980) langlebigsten und erfolgreichsten Slasherserie A Nightmare On Elm Street (A Nightmare On Elm Street, 1984), einen Versuch, dem seit Jahren brachliegenden Slashergenre neue Impulse zu verleihen. Mit Wes Craven´s New Nightmare (Wes Craven´s New Nightmare, 1994) gelang ihm bereits ein interessanter selbstreflexiver Genrefilm; in Scream ironisiert er Typen und gängige Handlungsmuster des Genres, wendet sie jedoch ebenso konsequent an. Alles und jeder ist an seinem Platz. Sei es die Tür, die ins Schloss fällt, ehe sich auch noch der Raum verdunkelt oder seien es Teenager, die durch sexuelle Handlungen und Drogenkonsum den Killer einladen und fast automatisch von ihm heimgesucht werden. Der Film wirkt wie ein Stammlokal des Horrorfilms, in dem man alte Bekannte wiedertrifft.

Casey Becker

Einen Archaismus lässt Wes Craven nicht mehr wirken: Es gibt keinen Michael Myers oder Jason Vorhees, keinen dunklen Mörder mehr, der kommt, um sich an den Kleinbürgern zu rächen, in deren Schatten er produziert wurde und die ihn später verstoßen haben. Der Killer kommt unmittelbar aus der Mitte der Kleinstadtbürger. Er erscheint hingegen immer noch als der Züchter, der die Jugendlichen (die "drogensüchtige Generation, die klaut und herumhurt", flucht der Schuldirektor) für den Verstoß gegen die Tugenden ihrer eigenen Kleinbürgerfamilien richtet. Hier konnte oder wollte sich Scream anscheinend nicht vom Konservativismus seiner Genrevorgänger befreien, doch erfährt auch diese Genreregel schließlich Spott.
Leider belässt es Wes Craven nicht bei der Hommage an Klassiker des Horrors, die mit liebevollen Anspielungen wirkt, und der Ironisierung der Genreklischees. Je weiter der Film voranschreitet, desto absurder und überdrehter wird er. Die Parodie wird immer vordergründiger, bis sie stellenweise in an dieser Stelle befremdlicher Albernheit mündet. Durch Verfremdung verlieren die Regeln des Genres ihre ursprüngliche Wirkung, so dass es nicht mehr gelingt, sie für einen spannenden Handlungsverlauf einzusetzen. Die Spannung der ersten Szene wird im weiteren Verlauf nicht mehr übertroffen. Der Schluss der Schreckensgeschichte ist ein gewitzter und intelligenter. Doch funktioniert die Vereinigung von spannendem Horrorfilm und Parodie desselben am Ende nicht.

Wes Cravens Film vermag nicht, eine beständige Perspektive für einen innovativen Slasherfilm zu bieten. Vielmehr schwelgt er in Erinnerungen und wirkt wie ein letztes unterhaltsames, nostalgisches Aufbereiten von Klassikern eines anscheinend toten Genres, das keine Neuerungen zulässt. Scream ist möglicherweise der Abgesang auf den Slasherfilm. Einen Neuanfang hinsichtlich kommerzieller Erfolge mag die 5-Millionen-Dollar-Produktion bringen: sie hat in den USA die 100-Millionen-Dollar-Grenze überschritten und ist so der erfolgsreichste Genrefilm der Geschichte; die Sequels Scream 2 und Scream 3 als weitere Teile einer Scream-Trilogie sind da. Der kommerzielle Erfolg hat jedoch auch seine Schattenseite: Ärgerlich bleibt zu vermerken, dass der Kinowelt-Verleih die Schnittauflagen der FSK zur Freigabe ab 16 akzeptierte und die synchronisierte Originalfassung nur als Director´s Cut mit wenigen Kopien vertrieb.

 

Philipp Wallutat / Wertung: * * (2 von 5)

Quelle der Fotos: Dimension Films: Scream

Filmdaten
Scream - Schrei! (Scream)

Auszeichnungen:
Saturn Award der Academy of Science Fiction, Horror and Fantasy Films, USA, 1997 (Bester Film, Neve Campbell als Beste Darstellerin und Kevin Williamson für das Beste Drehbuch); MTV Movie Award 1997 (Bester Film); ASCAP Film and Television Music Award USA (Marco Beltrami für den besten Score eines Top Box Office Films).

Regie: Wes Craven; Buch: Kevin Williamson; Kamera: Mark Irwin; Schnitt: Patrick Lussier; Musik: Marco Beltrami; Darsteller: Neve Campbell (Sidney Prescott), Skeet Ulrich (Billy Loomis), Rose McGowan (Tatum Riley), David Arquette (Deputy Dewey Riley), Courtney Cox (Gale Weathers), Jamie Kennedy (Randy), Matthew Lillard (Stuart), Drew Barrymore (Casey Becker), Henry Winkler (Direktor Himbrey) u. a.

USA 1996, 108/110 Minuten, FSK: ab 16/nicht unter 18

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