27.01.1999

Eine Wiederverfilmung marginalisiert sich selbst

Psycho (1998)

Filmplakat In Phoenix, Arizona, veruntreut Marion Crane, die junge Angestellte eines Maklerbüros, 400.000 Dollar, um ihr und ihrem geschiedenen Geliebten Sam Loomis einen Neuanfang zu ermöglichen. Auf der Flucht nach San Francisco, wo Sam wohnt, muss sie wegen eines nächtlichen Wolkenbruchs in dem abgelegenen Motel des merkwürdig erscheinenden Norman Bates Rast machen.

Dass sich die 40.000 Dollar gegenüber dem Originaldrehbuch verzehnfacht haben, und sich so eine Neuerung bereits in den ersten drei Zeilen dieses Textes einfindet, ist purer Zufall, denn Änderungen sind rar in Gus Van Sants Remake des Thrillerwerkes von Alfred Hitchcock aus dem Jahre 1960. Keine weitere Fortsetzung von Psycho, deren drei es bereits gibt (Psycho II, 1982; Psycho III, 1985; Psycho IV - The Beginning, 1990), sollte es sein, sondern eine stark werkgetreue Wiederverfilmung. Mit der Entscheidung, im Gegensatz zu Hitchcock in Farbe zu drehen, beendete Gus Van Sant jedoch auch schon fast die Überlegungen, welche neuen Wege er in seinem Remake beschreiten könnte. Die Novität an Van Sants Remake ist das Fehlen von Novitäten. Er entschied sich, Psycho Dialog für Dialog und Einstellung für Einstellung nachzudrehen. Abgesehen von marginalen Änderungen übernahm er Joseph Stefanos Drehbuch vollständig.

Norman Bates

Bernard Herrmanns Soundtrack war 1960 der erste seiner Art, der alleine die Streicher eines Orchesters einband. Ihm gelangen nervenzerrüttende Themen voller Zwanghaftigkeit, Melancholie und Rastlosigkeit. Danny Elfman, mit dem Van Sant bereits in der grellen Mediengroteske To Die For (To Die For, 1995 ) zusammenarbeitete, gelingt es, Herrmanns Soundtrack mit seiner Adaption sehr respektvoll zu behandeln. Einzig die Schlussmusik für den Abspann ist von Elfman nach Herrmanns Motiven neu komponiert worden. Damit erreicht der Film am Ende doch die Länge des Originals - trotz eines schnelleren Tempos, um den veränderten Sehgewohnheiten wenigstens etwas Rechnung zu tragen. Zwar wird der Film in das Jahr 1998 gesetzt, doch es fehlt eine konsequente Umsetzung, wenigstens in bezug auf Ausstattung und Bauten, da die Zeichnung der Charaktere bereits vierzig Jahre alt ist. Wenn Lila, Marions Schwester, mit einem Walkman auftaucht, wird dies zu einer Kuriosität, wenn bald danach ein antiquiertes Telefon abgehoben wird, um eine Verbindung zu verlangen. Minimal sind die Einfügungen, und sie funktionieren nicht. Immer wieder wird das Bemühen deutlich, sich nicht völlig vom äußerlichen Ambiente des Originals zu trennen, was etwa an Anne Heches altmodisch geschnittenem Jackenkleid sichtbar wird.

Die vagen Anstrengungen, Psycho über die Farbigkeit hinaus einen modernen Anstrich zu geben, scheitern an dem engen Kosett, in das Van Sant den Film gezwungen hat und das keine großen Bewegungen zulässt. Auch die Schauspieler leiden an ihren genauen Vorgaben. Indem ihnen Mimik und Gestik der Originaldarsteller vorgegeben sind, werden diese auch in persona heraufbeschworen. Vince Vaughn erinnert in seinem Spiel unweigerlich an Anthony Perkins - und schneidet schlecht ab, da Perkins immer noch am besten Perkins geben kann. Hitchcock ließ seinen Akteuren größte Freiheit. Van Sant ließ dies ins Gegenteil verkehren und lässt seine Schauspieler schließlich im Vergleich mit ihren Vorbildern verlieren. Auch wenn Vince Vaughn es schafft, in einigen Szenen stärker und weniger gehetzt, also eigener, zu erscheinen, ist dies, unbesehen der möglichen Sinnhaftigkeit, Stückwerk, da er im Anschluss wieder den Gestiken von Perkins nacheifern muss.

Hitchcock hat es in Psycho immer wieder geschafft, den Zuschauer zu manipulieren, in die Irre zu führen und zum Voyeur zu machen. Wenn Marion, nachdem sie das Geld unterschlagen hat, in ihrem Wagen aus der Stadt fahren will und auf ihren noch unwissenden Chef trifft, wünscht sich der Zuschauer nichts sehnlicher, als dass sie ungeschoren aus dieser anscheinend brenzligen Begegnung herauskommt. Durch die subjektive Erzählweise aus der Sicht Marions ist man bereits zu diesem Zeitpunkt von Hitchcock in die Lage versetzt worden, ein Verbrechen zu decken.

Marion Crane duscht

Van Sant gelingt es über weite Strecken, Spannung und manipulative Behandlung des Zuschauers hinüberzuretten, eben durch die detailgetreue Ausführung von Hitchcocks Vorgaben. Fast unwesentlich sind jedoch seine eigenen Ergänzungen. Hitchcocks Vorboten des Unheils, die geordnetes Leben aus der Bahn der Normalität werfen, sind oft Vögel; ein Einfall, der in Die Vögel (The Birds, 1963) freilich kumulierte, aber auch schon in früheren Filmen wie Sabotage (Sabotage, 1936) seinen Niederschlag fand. Nachdem sich Hitchcock bereits reichlich den Vogelmetaphern bedient hat, lässt Van Sant einen Vogel vor dem Fenster des Appartements landen, als sich Marion entschließt, das Geld zu entwenden, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Vielleicht eine Zufügung in des Meisters Sinne, aber kaum mehr als eine Feinheit. Auf keine andere Weise aber nähert sich das Remake dem Original. In der Verarbeitung fehlt gänzlich eine Reflektion und andere Sichtweise von Psycho, möglicherweise ist das Resultat das bloße Eingeständnis, dass Hitchcock ein geniales Werk hinterlassen hat. Sehr fraglich ist allerdings, ob dies die künstlerische Legitimation für einen Film sein kann. Es bleibt der kommerzielle Aspekt, der seine Hoffnung darauf richtet, ein junges Publikum für den Klassiker in Farbe zu gewinnen.

 

Philipp Wallutat / Wertung: * * (2 von 5)

Quelle der Fotos: Offizielle "Psycho 1998"-Seite

Filmdaten
Psycho (1998) (Psycho 1998)

Auszeichnungen:
Boston Society of Film Critics Award 1998 (William H. Macy als Bester Nebendarsteller in Psycho  u. a.).

Regie: Gus Van Sant; Buch: Joseph Stefano (nach einer Novelle von Robert Bloch); Kamera: Christopher Doyle; Schnitt: Amy Duddleston; Musik: Bernard Herrmann (adaptiert von Danny Elfman); Darsteller: Vince Vaughn (Norman Bates), Anne Heche (Marion Crane), Julianne Moore (Lila Crane), Viggo Mortensen (Sam Loomis), William H. Macy (Milton Arbogast), Robert Foster (Dr. Richmond) u. a.

USA 1998, 109 Minuten, FSK: ab 12.

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