7. September 2000
Die leidenschaftliche Liebe von James Joyce

Nora

Filmszene
Leben und Lieben des Schriftstellers James Augustine Joyce (1882-1941) aus der Sicht seiner Frau Nora. Literarisches Schaffen als Kampf der Geschlechter, nach der Roman-Biographie Nora von Brenda Maddox.

Im Dublin des Jahres 1904 lernt der schüchterne Joyce (Ewan McGregor) das aus der Provinz stammende Zimmermädchen Nora Barnacle (Susan Lynch) kennen. Augenblicklich verfällt er ihrem attraktiven Äußeren und ihrer sexuellen Freizügigkeit. Da ihre Beziehung auf Ablehnung stößt, kehren sie dem prüden Irland den Rücken, um im italienischen Triest zu leben. Seine Arbeit, die - durch Nora inspiriert - eine für die damalige Zeit unerhört erotische Note erhält, findet aber auch hier keine Zustimmung. Als deutlich wird, dass Joyce ihr gemeinsames Sexualleben literarisch verarbeitet, kommt es zum Zerwürfnis. Erst durch die räumliche Trennung wird den beiden ihre gegenseitige Abhängigkeit bewusst. Nun, da sein Privatleben geordnet ist, stellt sich auch mit der Veröffentlichung von Dubliners (1914) der schriftstellerische Erfolg ein. 

Wer gehofft hatte, sich durch Nora der widersprüchlichen Person James Joyce anzunähern, kommt nicht auf seine Kosten. Zwar mag es Film-Detektiven einiges Vergnügen bereiten, die zahlreichen Zitate, Motive und Arrangements aus seinem Werk aufzuspüren, für eine wirkliche Aufarbeitung bietet der Film aber zu wenig Grundlage. Die Reduktion auf bloße Triebhaftigkeit erscheint zu simpel. Doch auch wer erwartet hatte, zumindest den feministischen Geist der Roman-Vorlage filmisch umgesetzt zu sehen (was die Mitarbeit der Regie-Debütantin Murphy an Born In Flames, 1982, immerhin vermuten ließ), wird enttäuscht, da der Film keinerlei Stellung bezieht. Nirgends wird angedeutet, dass der Einfluss Noras auf die Genese des Dichters über das Körperliche hinausgeht, denn der Konflikt, der durch das Aufeinandertreffen zweier grundgegensätzlicher Naturen entsteht, wird vollkommen außer Acht gelassen. Typischerweise wird dann auch Noras wichtigste Entwicklungsphase von der naiven Hinterwäldlerin zur sprachgewandten, geschäftstüchtigen Anwältin des Joyce’schen Werkes mit der Bemerkung „Drei Jahre später“ übersprungen.

Auffallend bleibt weiterhin die Unfähigkeit der Darsteller (der Regisseurin?), Gefühle transparent werden zu lassen. Immer wenn ein nichtssagend-vielsagender Blick ins Leere nicht ausreicht, werden arienhaft Songs eingeflochten, deren Aufgabe darin besteht, etwa Heimweh, Liebe oder Glück zum Ausdruck zu bringen. Eine eigentlich nette Idee, bis der Verdacht entsteht, dieses Mittel sei aus der Not geboren. Auch Ko-Produzent McGregor, der bei seinen Liedbeiträgen zumindest mit einer überraschend angenehmen Stimme glänzt, passt sich schauspielerisch der allgemeinen Apathie an. 

Murphy scheint sich in der Wahl ihrer Stilmittel ungeniert aus dem reichen Fundus der Werbefilmer zu bedienen, denn ihre italienischen Bilder, die sich – wie sollte es anders sein – deutlich von der dumpfen Atmosphäre der irischen Sequenzen abheben, erinnern mit warmen Pastellfarben, Weichzeichner und dunkler Streichermusik peinlich an eine bekannte italienische Parfum-Reklame. Natürlich erzielen diese Klischees die gewünschte Wirkung. In der herzzerreißenden Trennungs-Szene, in der die beiden Kinder des Paares mit tränenerstickter „Arividerci, Pappo“ hauchen, fehlte eigentlich nur der berühmte traurig blickende Hund ... Taschentücher werden dennoch nicht benötigt, denn ansonsten plätschert das Bio-Picture unaufgeregt und unaufregend daher. Auch die wenigen harmlosen Sex-Szenen, die in einem Film, der „leidenschaftlich“ im Titel führt nicht fehlen dürfen, ändern daran nichts. Durch diese wurde Nora von einigen Kritikern in die Sparte Intellektuellen-Soft-Sexfilm gerückt. Doch für beides liegt eigentlich kein Grund vor.
 

Stefan Strucken / Wertung: ** (2 von 5) 

Quelle der Fotos: Offizielle Film-Homepage (nicht mehr existent)

Filmdaten
Nora
Irland, Italien, Deutschland 2000; Regie: Pat Murphy; Drehbuch: Pat Murphy, Gerard Stanbridge Kamera: Jean-François Rolin Darsteller: Ewan McGregor, Susan Lynch, Peter McDonald, Aedin Moloney, Vinnie McCabe, Frank Hickey; Länge: 106 min.; FSK: ab 12 Jahren