11. November 1999

Die erstaunlichen Wirklichkeitsebenen in einem Hollywood-Streifen

Mut zur Wahrheit

Grünlich scheinende Nachtbilder, Leuchtspuren am Himmel, Sirenengeheul – das kennen wir doch? Genau so erlebten die meisten Menschen den Golfkrieg – am Fernseher. Für Colonel Serling ist natürlich alles anders, denn er steckt mitten im Kampf. Serling befehligt eine Panzereinheit. Doch in der Dunkelheit gibt Serling den Befehl, einen vermeintlich feindlichen, tatsächlich aber amerikanischen Panzer abzuschießen.

Zurück in den USA wird er auf merkwürdige Weise verhört: Während Serling selbst "glaubt", die Zugehörigkeit des Panzers nicht erkannt haben zu können, bestimmt der ihm gegenüber sitzende Offizier die für die Öffentlichkeit bestimmte Wirklichkeit: "Es war so." Der Journalist Gardener ahnt allerdings, daß diese vorgetäuschte Wirklichkeit nicht der Wahrheit entspricht.

Nun wird ein zweiter Handlungsstrang eingeführt: Die Tapferkeitsmedaille soll verliehen werden – und zwar zum ersten Mal an eine Frau: Captain Karen Emma Walden, eine Pilotin, deren Hubschrauber abstürzte. Sie starb im Krieg. Doch zuvor muß untersucht werden, ob diese Wahl gerechtfertigt ist. Die Ermittlungen soll Serling führen.

Der Colonel befragt alle Soldaten, die Walden bei ihrem letzten Einsatz begleitet hatten. Nachdem Serling den krebskranken Altameyer im Krankenhaus befragen will und dieser daraufhin einen Schock erleidet, verhört er die zwei anderen Soldaten erneut und bemerkt, daß die Aussagen sich zum Teil widersprechen. Erst am Ende wird deutlich, daß jeder die Wahrheit vor der Öffentlichkeit geheimhielt, um ihr Fehlverhalten im Krieg, durch das Walden zu Tode kam, zu vertuschen. Walden starb, weil Monfriez bei der Rettung der Hubschrauberbesatzung vorgab, Walden sei tot und Ilario dazu schwieg – wider besseres Wissen. Der Hubschrauber hob ohne Walden ab. Sie wurde durch die Iraker grausam getötet.

Was die Armee im Großen betreibt, begehen die zwei Soldaten im privaten Leben: Wahrheitsklitterei, um sich selbst aus einem negativen Licht herauszuhalten und die Fragenden ruhig zu stellen. Die Armee hat das Interesse, dem Volk möglichst schnell einen Kriegshelden präsentieren zu können. Das Volk soll die Armee in einem reinen Licht sehen. Deshalb wird auch der Tod von Soldaten vor den Angehörigen als "nach tapferem Kampf im Gefecht gefallen" dargestellt, auch dann, wenn eigentlich ein Kriegs"unfall" die Todesursache war.

Der Scharfschütze Monfriez, der mit im Hubschrauber saß, läßt niemanden an die Wahrheit herankommen. "Ich war ein guter Soldat." So belügt er auch sich selbst. Er fürchtet offenbar die Konsequenzen, will verdrängen, was passiert ist, und bringt sich schließlich auf grausame Weise um.

Der Sanitätssoldat Ilario erträgt die Wahrheit ebenfalls nicht und versucht, die heile Welt seiner Kindheit wiederherzustellen. "Kinder müssen nicht an die Konsequenzen denken", sagte er zuvor sehnsuchtsvoll zu Serling. Doch schließlich besinnt sich Ilario auf die Ehrlichkeit von Kindern und erzählt Serling, was wirklich passiert ist. Serling übergibt dem Untersuchungsausschuß die Unterlagen seiner Ermittlungen. Walden wird geehrt, doch laut Laudatio im Kampf für ihre Kameraden – eben so, wie es das Volk sich Kriegshelden wünscht. Serling vollendet unterdessen seinen Feldzug gegen die Lügen und klärt die Hinterbliebenen von Walden als auch diejenigen des Soldaten, dessen Panzer er selbst abschießen ließ, über die Wahrheit auf.

Der Film "Mut zur Wahrheit" stellt also viele verschiedene Wirklichkeiten dar. Doch mit den genannten nicht genug: Auch Serling erträgt seine Schuld. Er hat Alpträume und flüchtet sich mit Hilfe von Scotch in die Wirklichkeit des verzerrenden Rausches. Die Medien spielen eine geteilte Rolle: Einerseits vermitteln sie Eindrücke vom Krieg, die die Wahrheit verzerren. Auch wir mußten uns mit der Wahrheit der grünlichen Bilder von Leuchtspuren der Bomben zufrieden geben. Daß Fernsehbilder aber keinesfalls dazu geeignet sind, das Geschehen im Krieg nachempfinden zu lassen, bringt Ilario zum Ausdruck: "Die Menschen denken, es passiert Gutes, wenn die Sonne aufgeht." Im Krieg kam der Feind. Andererseits ist aber der Journalist Gardener ein Krieger für die Wahrheit, und zum Schluß gelingt es ihm auch, einen Teil der Lügen der Armee zu entlarven.

Obwohl sowohl die Armee als auch – wenngleich weniger deutlich – die Medien angegriffen werden, wird keinem ein Zacken aus der Krone gebrochen. Zwar hält sich insbesondere in der Armee die Mehrheit der gezeigten Soldaten nicht an die Wahrheit, doch weil der ehrenhafte Soldat Serling der Held des Films ist, wird der Ruf der Armee nicht geschwächt. Der Film zeigt, daß es möglich ist, sich gegenüber Vorgesetzten durchzusetzen und seine Tugenden selbst im fallenreichen, hierarchischen System der Armee einzusetzen zur Verbesserung des menschlichen Zusammenlebens.

Der Film gibt jede Aussage eines von Serling befragten Soldaten als Episode wieder. Zwar bemerkt der Zuschauer wohl die Unterschiede in den einzelnen Aussagen. Die Aussagen stimmen zunächst jedoch in gewissen Punkten überein, so daß der Zuschauer sehr lange nicht ahnt, daß feiges Verhalten von ihren Kameraden die Ursache für Waldens Tod ist. Der Film zeigt also, wie leicht man eine nicht der Wahrheit entsprechende Wirklichkeit annimmt und für wahr hält. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß die Schauspieler nicht durch irakischen Wüstensand, sondern durch Heimaterde krochen: Alle Drehorte befinden sich in den USA.

Der Originaltitel weicht in seiner Aussage vom deutschen Titel ab: "Courage under Fire" betont das tapfere Verhalten, das jemand in einer schwierigen Lage gezeigt hat. "Mut zur Wahrheit" behauptet dagegen, daß es nicht selbstverständlich sei, ja, daß es sogar besonderen Mut erfordere, überhaupt die Wahrheit zu sagen. Eine erschreckende Auffassung.  

Tobias Vetter / Wertung: * * (2 von 5)


Filmdaten
Mut zur Wahrheit (Courage under fire)
USA 1996 Regie: Edward Zwick Drehbuch: Patrick Sheane Duncan, Kamera: Roger Deakins, Ausstattung: John Graysmark, Musik: James Horner, Produzenten: John Davies, Joseph M Singer, David T Friendly, Darsteller: Denzel Washington (Lieutenant Colonel Nathaniel Serling), Meg Ryan (Captain Karen Emma Walden), Lou Diamond Phillips (Monfriez), Michael Moriarty ( General Hershberg), Matt Damon (Ilario), Bronson Pinchot (Bruno), Seth Gilliam (Altameyer), Regina Taylor (Meredith Serling), Zeljko Ivanek (Banacek), Scott Glenn (Tony Gartner), Tim Guinee (Rady), Tim Ransom (Boylar) Länge: dt. Version 118 Min., US-Version 117 Min.

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