5. September
2000
Tod
oder Liebe
Léon, der Profi
Keine
Frauen, keine Kinder. Das sind die Randgruppen, sie werden von Léon
verschont. Alle anderen tötet er, wenn er dazu beauftragt wird.
"Cleaner", sein Beruf, ist für Léon eine selbstverständliche
Arbeit. Er ist zuverlässig, pflichtbewusst und er ärgert
sich, wenn er zu spät kommt. Töten ist Léons Lebensinhalt,
und zwar seit er mit 19 aus Italien nach New York auswanderte. Veränderungen
sind nicht gut, warnt Auftragszwischenhändler Toni. Léon
nickt, und doch kann er, der Profikiller, sich nicht gegen ein zwölfjähriges
Mädchen wehren.
Mathilda, das Nachbarsmädchen, bietet eines Tages unverhofft
an, Léon Milch aus dem Supermarkt mitzubringen. Léon
willigt zögernd ein. Als Mathilda Minuten später zurückkommt,
ist ihre Familie ausgerottet. Traurig ist Mathilda nur um ihren
vierjährigen Bruder. Ihr Vater schlug sie, ihre Schwester
schlug sie noch schlimmer und die "Mutter" war nicht
ihre Mutter. Nur ihren Bruder hatte sie lieb. Schnell findet Mathilda
heraus, dass Léon Profikiller ist und bittet ihn um Rache
für ihren Bruder. Als Léon ablehnt, möchte sie
selbst Profikillerin werden, um eines Tages selbst auf die Mörder
zu schießen.
Das an sich würde Léons Leben ja nicht weiter verändern.
Doch Mathilda erweckt den Mann mit dem steinernen Herzen wieder
zu Leben. Und diese Entwicklung ist äußerst beeindruckend
dargestellt von den beiden Schauspielern. Als Léon Mathilda
zum ersten Mal im Flur trifft, fragt das Kind: "Ist das Leben
immer so hart oder nur, wenn man Kind ist?" In Léons
Gesicht zuckt es, er ist getroffen, ehe er traurig, aber hart
erwidert: "Es wird immer so sein." Auch gleich nachdem
Léon Mathilda bei sich aufgenommen hat, ist die Macht zu
erahnen, mit der das Kind auf den Killer wirkt: Der scheinbar
Gefühlskalte vergisst seine Panzerung und versucht, Mathilda
mit einer Schweine-Handpuppe zu trösten. Gerade diese Szene
ist besonders ergreifend, weil in ihr die tiefe Trauer zum Ausdruck
kommt, die in Léon sitzt: Er kann der lustig-rosanen Handpuppe
nur eine tiefe, melancholische Stimme verleihen, als das Schwein
grüßt: "Hallo, Mathilda!" Doch schon bald
ist es umgekehrt, da bringt Mathilda Léon zum Lachen, und
zwar bei einer wilden Wasserschlacht. Das Mädchen, dessen
Familie soeben ermordet wurde, vertreibt die Trauer aus einem
Profikiller!
Schließlich
entwickelt sich zwischen Léon und Mathilda sogar eine Liebe,
die jedoch nicht kitschig wird, wie man es angesichts einer Geschichte
über einen harten Helden und ein hübsches Mädchen
erwarten könnte. Allein Mathildas Alter von zwölf Jahren
verhindert dies. So denkt
der Zuschauer nicht, was Léon doch für ein Idiot sei,
weil er die zahllosen Liebeshinweise Mathildas ablehnt. Ablehnungen
müssten auch für den Zuschauer selbstverständlich
sein, doch wegen der psychologisch ausgearbeiteten Handlung und der schauspielerischen
Leistung wünscht man sich trotzdem, Léon möge
Mathilda nicht in ihren Gefühlen alleine lassen. Schließlich ist Léon selbst noch nicht erwachsen, obwohl er es längst sein müsste.
Dennoch spürt Léon, dass die Liebe auch ihn beschleicht.
Damit wird er, den der Liebeskummer zum Killer werden ließ,
in seinen Grundfesten erschüttert. Mathilda sagt: "Léon
- schöner Name", und Léon verschüttet seine
Milch. Mathilda sagt: "Ich glaube, ich
habe mich in dich verliebt", und wieder verschluckt sich
Léon. Er reagiert sauer, stapft zur Arbeit und fängt
sich prompt eine Kugel ein, vermutlich zum ersten Mal überhaupt.
Leon ahnte die Gefahr von Beginn an
Léon ahnte die Gefahr von Anfang an. Doch immer wieder
unterlag er Mathilda. Als Mathilda um Einlass bettelte und hinter
ihr schon die Mörder aufmerkten, schien es, als bleibe die
Tür zu. Doch Léon öffnete schließlich doch.
In der ersten Nacht konnte Léon nicht schlafen, er lud
sein Gewehr und stapfte zur schlafenden Mathilda, doch er drückte
nicht ab. Mathilda hält sich einen Revolver an den Kopf,
und in letzter Minute entschließt sich Léon doch,
ihr die Kanone zu entreißen. Immer wieder das gleiche: Léon
versucht, seine Gefühle zu verneinen, doch in letzter Minute
erkennt er, dass er ihnen unterlegen ist.
Insgeheim träumt Léon nämlich von einem unbeschwerten
Leben. Er ist ein kleiner Junge geblieben, während Mathilda
überaus erwachsen scheint. Léon trinkt ausschließlich
Milch, trägt zu kurze Hosen, als könnte er sich allein
nicht ankleiden und liebt die Unbeschwertheit in Gene-Kelly-Filmen.
Luc Bessons Film von 1994 ist aber nicht nur durch die psychologisch
ausgearbeiteten Charaktere brillant. So wird die Handlung perfekt unterstützt durch die Filmtechnik. Beispielsweise setzt Besson Mittel
wie die Zeitlupe ein, einmal um die Spannung zu erhöhen,
an anderer Stelle, um eine wichtige Szene wirkungsvoller zu gestalten.
Die Musik hält sich immer im Hintergrund und betört
den Zuschauer im Unterbewusstsein über lange Strecken durch
ihre fast permanent präsente Bedrohung. Sie unterlegt die
Handlung eher skizzenhaft: Als der Drogenfahnder und Drogenboss
Stansfield Mathildas Familie leidenschaftlich ausrottet, hat er
die schwere Musik Beethovens im Kopf, die im Film seinen rauschhaften
Mordeszug zaghaft begleitet.
Beim Einsatz von Licht fallen besonders zwei Szenen ins Auge:
Als Léon Mathilda endlich die Tür öffnet und
dadurch vor dem Tod rettet, sieht Mathilda in ein helles Licht
der Erlösung. Und als Léon nach dem Schlussgefecht
dem Ende des Tunnels entgegengeht, durch den er die Kampfstätte
verlassen will, wird sein Gesicht bestrahlt und durch diesen Lichteinsatz
verstärkt, dass seine Augen sowieso leuchten und er lächelnd
der Erlösung von seiner Traurigkeit entgegensieht. Die Kameraführung
verstärkt die Spannung der Actionszenen des Films deutlich.
Besonders Léons bewundernswert sicher ausgeführte
Aufträge sind sehenswert.
Das Weltbild im Film ist äußerst düster. Das
Gute ist böse, das Böse ist gut. Die Familie bietet
keine Geborgenheit. Kindsein ist hart. Drogenfahnder sind selbst
Großdealer und töten lachend Frauen und Kinder, während
der Profikiller nicht hassens- sondern bemitleidenswert ist ob
seiner Traurigkeit, die in diesem Weltbild vollkommen verständlich
ist. Dennoch ist die Alternative "Tod oder Liebe" (Mathilda) nicht
trostlos. Schließlich ist Léon ausgerechnet in dem
Moment von seinen Hemmungen, sich und Mathilda die Liebe zu gestehen,
erlöst und damit zum ersten Mal seit vielen Jahren glücklich,
als der Tod so heftig an die Tür pocht wie noch nie.
Tobias Vetter /
Wertung:
* * * * * (5 von 5)
Filmdaten
Léon, der Profi
(Léon)
Frankreich/USA 1994; Regie, Produzent und Drehbuch: Luc Besson;
Darsteller: Jean Reno (Léon), Gary Oldman (Stansfield),
Natalie Portman (Mathilda), Danny Aiello (Tony), Peter Appel (Malky),
Michael Badalucco (Mathildas Vater); Musik: Erik Serra; Kamera:
Thierry Arbogast; Ausstattung: Dan Weil; Schnitt:
Sylvie Landra; Länge: 107 Minuten; FSK 16
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