25. November
2000
"Kerze
in das Auge!!"
Guest House Paradiso
Mit einer Humor-Brachialmischung
irgendwo zwischen "Fawlty Towers", Harald Schmidt und
Tom & Jerry versuchten die Drehbuchautoren und Hauptdarsteller
Adrian Edmondson und Rik Mayall, das Nonplusultra auf dem Gebiet
der Filmkomödie zu schaffen. Puristen und Sensible werden erschrocken
den Kinosaal verlassen, aber der andere Teil des Publikums kriegt
vor lauter Pointen kaum noch Luft zum Atmen. Die Idee, mit der größten
Erbrechensszene der Filmgeschichte ins Guinness-Buch der Rekorde
zu gelangen, muss den beiden bei einem Guinness zuviel gekommen
sein.
Seit
"Delicatessen" (1991) wird Ekel auf der Kinoleinwand mit
besonderer Ästhetik serviert. Sei es in "Hotel Splendide"
(2000) und "Tuvalu" (1999), oder in Horror-Schinken wie
"Das Geisterschloss" (1999) und "(House on) Haunted
Hill" (1999), das Leben ist grausam und düster, düster
die Häuser, düster die Räume, und das färbt
auf die Seelen der Filmfiguren ab. "Hotel Splendide" mit
Toni Collette lässt solch ein auf Gothic getrimmtes Gebäude
sogar ein Hotel sein, mit einem Hotelmanager, dem man im wahren
Leben nicht begegnen möchte (Stephen Tompkinson). Vor dem deutschen
Kinostart von "Hotel Splendide" ist der humoristische
Zwillingsbruder dieses Films in Deutschland angelaufen: "Guest
House Paradiso".
John Cleeses Hotelmanager Basil Fawlty in der britischen 70er Jahre-Comedyserie
"Fawlty Towers" war, was Chaos, Unbeherrschtheit und Unfähigkeit,
ein Hotel zu führen, betrifft, ein Waisenknabe gegen Mr. Twat
("Twääit !!!! Nicht Twatt!"). Höflichkeit,
Disziplin und Moral sind Fremdwörter für ihn, er beschimpft
und beklaut Personal (wenn dieses noch nicht die Flucht ergriffen
hat) und Hotelgäste (wenn die noch nicht die Flucht ergriffen
haben), wo er nur kann, um immer wieder dabei erwischt zu werden,
um immer wieder ins Fettnäpfchen zu tappen, um selber immer
wieder Opfer von Racheakten zu sein. Es geht hoch her wie in "Tom
& Jerry"-Comicstrips, wenn Jerry von Tom einen Hammerschlag
kassiert oder Tom von Jerry im Ofen eingeschlossen wird. Hier sind
es aber echte Menschen, Schauspieler, die ihre Rollen verkörpern,
und die Figuren stecken im Film einiges ein. Das Drehbuch ist dabei
unglaublich erfinderisch, es kommt nie Langeweile auf, die Pointen
jagen sich ohne Unterbrechung, aus dem Motiv des verdreckten Hotels
holen Edmondson und Mayall alles nur Vorstellbare heraus. Ein Hotel,
dessen Existenz die Fischer der Umgebung leugnen, zum Wohlfühlen?
Immerhin, das "Paradiso" liegt direkt an einer Meeresklippe.
Ein Hotel mit schöner Aussicht? Wenn da nicht nebenan das Atomkraftwerk
wär'.
"Guest House Paradiso" kommt fast ganz ohne Stars aus. Einzig Bill
Nighy, der Darsteller eines Gastes, kann man aus "Still Crazy"
(1998) kennen, einem anderen britischen Film, der in den deutschen
Kinos zu sehen war, sowie auch Vincent Cassel, Nachwuchsdarsteller
aus Frankreich ("Hass"), bekannt ist.
Wozu auch brauchen Edmondson und Mayall Stars,
wenn sie sich als Drehbuchautoren und Hauptdarsteller mal so richtig
austoben wollen, sich selbst in den Mittelpunkt rücken. Und
beide sind so bei der Sache, dass man seinen Spaß hat. Eine
schöne Frau an ihre Seite schrieben sie sich auch ins Drehbuch,
denn eine italienische Filmdiva namens Gina Carbonara (Hélène
Mahieu, kein "t" im Nachnamen) sucht bei den beiden Hoteliers
Twat und Eddie Ndingombaba Zuflucht. Fräulein Carbonara -
hier stand wohl Gina Lollobrigida Pate - hat ihren Bräutigam
Gino Bolognese vorm Traualtar sitzen gelassen, nun will sie Ruhe
an einem möglichst entlegenen Ort finden ("Ich habe an
Ihr Hotel gedacht!"). Aber kann sie dort auch Ruhe finden,
wenn Twat und Eddie vor Gelüsten Feuer und Flamme sind? Und
der polygame Latin Lover Bolognese ist ihr bereits auf den Fersen,
das Kraftwerk erlaubt sich einen Atomunfall...
"Guest House Paradiso" ist eine Komödie, die den
Zuschauer mit Lachsalven ohne Pause beschießt. Aber die oftmals
zotigen Witze sind für den Kinogänger nicht nur schwer
verdaulich, weil er die letzte Pointe noch nicht verarbeitet hat
und schon die Nächste kommt, er kriegt auch Probleme mit der
Verdauung, weil der Humor meistens die Grenze des auf der Leinwand
Erträglichen überschreitet: Höhepunkt ist ein Minuten
langes Erbrechen sämtlicher Figuren. Wer sensibel ist, wird
den Film nicht zu Ende sehen können. Aber die Wirklichkeit,
so wollen Edmondson und Mayall den Film wohl verstanden wissen,
ist eben nicht anders, und das drückt auch ein Dialog zwischen
einem Gästesohn und Eddie aus: "Es ist furchtbar hier!"
- "Willkommen im wahren Leben, Junge!"
Michael Dlugosch
/ Wertung:
* * * (3 von 5)
Filmdaten
Guest House Paradiso
GB 1999; Regie: Adrian Edmondson; Drehbuch: Adrian
Edmondson, Rik Mayall; Produzenten: Phil McIntyre, Helen
Parker, Marc Samuelson, Peter Samuelson, Shellie Smith; Musik:
Colin Towns; Kamera: Alan Almond; Schnitt: Sean Barton;
Casting: Lucy Boulting
Darsteller: Rik Mayall (Richard Twat), Adrian Edmondson (Eddie
Elizabeth Ndingombaba), Vincent Cassel (Gino Bolognese), (Gina Carbonara),
Bill Nighy (Mr. Johnson), Fenella Fielding (Mrs. Foxfur), Simon
Pegg (Mr. Nice), Lisa Palfrey (Mrs. Nice), Kate Ashfield (Mrs. Hardy),
Steve O'Donnell (Küchenchef), Joseph Hughes (Damien Nice),
Jessica Mann (Charlene Nice), James D'Arcy (junger Bräutigam),
Kate Loustan (junge Braut); Länge: 90 Minuten; FSK:
ab 16 Jahren
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