26. Oktober 
              2000  
  Auf 
              Tom Tykwer lastete vor "Der Krieger und die Kaiserin" 
              ein Erfolgsdruck: Man erwartete von ihm einen ähnlichen Film 
              wie "Lola rennt", einen ähnlich temporeichen Film, 
              das heißt: einen ähnlich erfolgreichen Film; sogar der 
              amerikanische Markt sicherte sich die Vermarktungsrechte. Es beeindruckte 
              Tykwer wenig. "Der Krieger und die Kaiserin" hat ein quälend 
              langsames Tempo, ein Tempo, das den Ekel seiner Figuren vor der 
              Welt bis ins letzte Detail demonstriert. In dem Film wird nicht 
              gerannt, so wie in "Lola rennt"; nur einmal, und das ist 
              als Reminiszenz an den vorangegangenen Film Tykwers zu verstehen. 
              Diese Szene, Bodo (Benno Fürmann) ist auf der Flucht vor Automechanikern, 
              denen er etwas geklaut hat, läutet die Schlüsselszene 
              des Films ein. Denn Bodo kann der Psychiatrie-Krankenpflegerin Simone, 
              genannt "Sissi" (Franka Potente), nach einem Unfall per 
              Luftröhrenschnitt das Leben retten. Es ist das erste Mal, dass 
              die "Kaiserin", "Sissi", auf ihren "Krieger", 
              den Ex-Bundeswehrsoldaten Bodo, trifft. Fortan muss sie wissen, 
              wer er ist; denn sie, die bis dahin ein kärgliches Leben führte 
              inmitten von Psychiatrie-Patienten, erfährt erstmals etwas, 
              das sie vorher nicht kannte: Was es heißt, verliebt zu sein. 
              Wie im Märchen hilft nur ein Kleidungsstück, ihn wieder 
              zu finden, ein Knopf. Sie findet ihren Retter tatsächlich wieder, 
              doch er will nichts von ihr wissen. Ihn hat die Vergangenheit nicht 
              losgelassen, seine Frau starb bei einem Unglück. Er hat nur 
              noch ein Ziel: Mit dem Bruder Walter (Joachim Król) eine 
              Bank zu überfallen, und dann: weg. Dorthin, wo die Heimatstadt 
              Wuppertal am weitesten entfernt ist, nach Australien.
              
              
Zum Zeitpunkt, an dem "Der Krieger und die Kaiserin" in 
              die deutschen Kinos kam, drehte Tykwer bereits "Heaven" 
              nach einem Drehbuch des verstorbenen polnischen Regisseurs Krysztof 
              Kieslowski. Sind die Ideen des Polen Vorbild für Tom Tykwer? 
              Tykwer hat diese Frage verneint, aber Bezüge fallen immer wieder 
              auf. Schon Kieslowski hat in "Der Zufall" ("Przypadek", 
              1982) Geschichten wiederholt erzählt, aber jeweils mit Unterschieden, 
              so wie später Tykwer in "Lola rennt", und Kieslowski 
              führte in seinem Gesamtwerk immer wieder per Schicksalsbegegnungen 
              Menschen zusammen - so wie Tykwer hier Sissi und Bodo.
              
              Schicksal als lebensveränderndes Element für zwei Menschen, 
              denen das Leben übel mitgespielt hat. Könnte jetzt für 
              beide, nachdem sie sich kennen gelernt haben, alles besser werden? 
              Aber Tykwers Film ist ein Werk, das dem Zuschauer von der ersten 
              bis zur letzten Minute Qualen der Realität zumutet. Bodo lernt 
              man als Hilfsarbeiter im Leichenschauhaus kennen, seine Gefühle 
              schwanken zwischen der brutalen Kämpfernatur des Soldaten und 
              der Depression eines seelischen Wracks, Sissi ist als Krankenschwester 
              so sehr mit ihren Patienten verbunden, dass sie keine emotionelle 
              Distanz mehr zu den dortigen Geschehnissen hat. Da alles schief 
              geht, was in beider Leben schief gehen konnte, weiß der Zuschauer 
              von vornherein, dass auch der Überfall scheitert und ein Erreichen 
              Australiens Utopie bleiben wird. Die "Kaiserin" kämpft 
              um ihren "Krieger" und kann sich als rettender Engel erweisen, 
              wie er umgekehrt vorher für sie: Sie hilft ihm, der Polizei 
              zu entkommen. Dass beide nicht aufgeben, sondern weiter kämpfen, 
              steht symbolisch für den Versuch der Flucht aus dem Bisherigen. 
              Geht aber Sissis Traum auch in Erfüllung, dass Bodo sich ihr 
              emotionell öffnen kann? Oder bleibt ihnen beiden die Depression 
              erhalten?
              
              

Tykwer setzt Bilder ein, die ihresgleichen suchen. Psychische Beklemmung 
              wurde selten so ideal auf der Leinwand dargestellt wie hier - an 
              solchen Stellen verwendet der Film keine überflüssigen 
              Dialoge, während andere Regisseure dabei nicht auf sie verzichten 
              könnten. Dann reichen Mimik und Gestik der beiden hervorragend 
              von Tykwer eingesetzten Hauptdarsteller aus, um die Seelenqual ihrer 
              Figuren zu vermitteln.
              
              Leider übertreibt Tykwer darin. Er will so viele Emotionen, 
              so viel Elend und soviele Schicksale wie möglich in "Der 
              Krieger und die Kaiserin" unterbringen. Damit bricht der Film 
              unter seiner eigenen Last, einem an Ekel vollgestopften Inhalt, 
              fast zusammen. Tykwer verliert aber sein Hauptthema nie aus dem 
              Blick: Es geht um die Rettung der Gefühle vor ihrer endgültigen 
              Zerstörung. "Der Krieger und die Kaiserin" ist ein 
              Film über die Liebe - aber kein Film für verliebte Pärchen, 
              es sei denn, sie wissen die Bedeutung der Liebe in harten Zeiten 
              zu verstehen.