06.12.2000
Ein Film attackiert seine Zuschauer
Baise-moi - Fick´ mich!
Der Film Baise-moi ist ein Skandal. Nachdem er in den Kinos seines Herkunftslandes Frankreich gestartet war, regte sich vermehrt Protest gegen seine Aufführung. Schließlich wurde Baise-moi durch den Staatsrat, der höchsten Verwaltungsgerichtsbarkeit, die Freigabe ab 16 Jahren entzogen. Das Prädikat X, das dem Film blieb, hat zur Folge, dass er nur noch in Pornokinos gezeigt werden darf. Zwei Wochen später dann genoss der Film auf dem Filmfestival in Locarno in der Schweiz Aufmerksamkeit und Empörung. Dies ist in Kürze die Chronologie des Aufruhrs, aber es bleibt die Frage, was eigentlich für ein Film dahinter verborgen wird.
Die junge Manu ist ständiges Opfer von Gewalt in einer Umwelt, die von Männern bestimmt wird. Doch eigentlich hat sie sich damit bereits arrangiert. Als sie zusammen mit einer Freundin das Opfer einer schrecklichen Vergewaltigung wird, gleiten alle Grausamkeiten, die an ihr verübt werden, ab. Schrecklich wirkt diese Vergewaltigung auch deshalb, weil für die Sequenz so offen aggressive und unverschleierte Bilder wie vielleicht noch nie zuvor im Kino gewählt wurden. Genitalien und Penetration sind groß im Bild, so dass man sich ihnen nicht entziehen kann; die Grenzen von akribisch-realistischer Darstellung bis in die letzte Pore scheinen hier erreicht. Doch den körperlichen Schmerz scheint Manu zu absorbieren, und auch im Inneren dominiert der von ihr selbst gesetzte Zwang zur Gleichgültigkeit. Schwäche und Verletzlichkeit will sie nicht mehr erkennen lassen. Mit Nadine trifft sie eine Schwester im Geiste, und gemeinsam begeben sie sich in einen wütenden Rausch, während dem nunmehr sie selbst über sich und schließlich auch über andere bestimmen. Sie hetzen durchs Land, einem Mord folgt der nächste, immer grausamer, leichter und mitleidsloser gehen die Frauen zu Werke. Dabei wird bald klar, dass die beiden weder Ziel noch Ausweg haben und schließlich ins Leere steuern.
Baise-moi ist eine schnelle Geschichte der Flucht der beiden jungen Frauen Nadine und Manu. In der von Männern und ihrer Gewalt dominierten Gesellschaft, in der die beiden leben, scheint die einzige Möglichkeit aufzuschreien und sich zu wehren, darin zu bestehen, den Spieß umzudrehen. Sie nehmen und ficken rücksichtslos, wen sie wollen. Eines ihrer männlichen Opfer muss auf allen Vieren kriechen und wie ein Schwein grunzen, bevor es mit einer anal eingeführten Waffe erschossen wird. Der einzige Fluchtweg der beiden Frauen aus ihrer bisherigen Situation scheint darin zu bestehen, das Männliche, das sie unterdrückt, anzunehmen und damit auch einen Teil von sich selbst zu verleugnen. Das ist eine bittere und vernichtende Analyse eines starren Milieus, in dem Frauen keine Eigenständigkeit zubilligt wird und sie nur unter der Verfügungsgewalt anderer stehen. Allerdings finden sich diese Ansätze in einigen Sequenzen nicht stringent wieder. Diese Momente sind es dann auch, in denen die Motive von Manu und Nadine fragwürdig und zweifelhaft erscheinen. In den Haupt- und Nebenrollen agieren Darsteller, die bislang Pornofilme gedreht haben. Leider gelingt es nicht allen, eine gute schauspielerische Figur abzugeben. Besonders Karen Bach als Nadine wirkt oft steif und spielt fortwährend die gleiche Mimik und Gestik aus.
Das Filmdebüt der beiden Regisseurinnen ist voller Bilder, die eine einzige Attacke auf den Zuschauer darstellen. Die provozierende Wirkung des Films besteht nicht nur darin, dass sexuelle Handlungen detailliert und explizit dargestellt werden. Ihnen wohnt außerdem der mechanische Duktus eines Pornofilms inne, und sie sind immer untrennbar verknüpft mit Gewalt. Dazu werden diese Augenblicke in Baise-moi von zwei Zerrspiegeln zurückgeworfen, die zusammen die Distanz erschweren: Die Sexualität artikuliert sich nur in obszön empfundenen Bildern von unwirklichen und entseelten Akten und erhält dann durch das körnige, unruhige und lichtempfindliche Bild doch wieder den Schein der dokumentierten Realität. Es ist bemerkenswert, dass filmische Tabus aus dem Bereich der Sexualität nur mit Vehemenz und Härte in das Licht der Leinwand gezerrt werden. Vor Baise-moi wurden diese visuellen Tabus nicht eingesetzt in erotischen Liebesfilmen etwa. Der Filmwissenschaftler Amos Vogel nannte letztere die "überschlagenen Kapitel" der Filmgeschichte. Vielleicht hat es Baise-moi erleichtert, dass diese Kapitel geschrieben werden können.
Philipp Wallutat
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Wertung:
* * * (3 von 5)
Filmdaten
Baise-moi - Fick´ mich!
(Baise-moi)
Regie: Virginie Despentes, Coralie Trinh Thi;
Buch: Virginie Despentes nach ihrem gleichnamigen Roman;
Kamera: Benoît Chamaillard, Julien Pamart;
Schnitt: Aïlo Aguste, Francine Lemaître, Véronique Rosa;
Musik: Varou Jan;
Darsteller: Raffaëla Anderson (Manu), Karen Bach (Nadine), Delphine McCarty (Nadines Mitbewohnerin), Ouassini Embarek (Radouan) u.a.
Frankreich 2000, 77 Minuten, FSK: nicht unter 18.
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